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Das Heerlager der Heiligen

Das Heerlager der Heiligen

Titel: Das Heerlager der Heiligen Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean Raspail
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Armee hat einem Gespenst von einem Glauben eine Ehrenbezeugung erwiesen.
    Am Strand standen die Mönche mit den Füßen im Wasser und rührten sich nicht. Zwanzig Meter trennten sie von dem aufgelaufenen Bug der INDIA STAR. Diese zwanzig Meter klares blaues Wasser, das an dieser Stelle nicht tief und im Morgenlicht durchscheinend war, stellte noch den einzigen Abstand zwischen der Vergangenheit und der Zukunft dar. Zwischen zwei Welten war die Kluft zugeschüttet. Für die Verteidigung des Westens blieb nur dieser Rubicon übrig, den ein fünfjähriges Kind überschreiten konnte, wenn es vorsichtig das Kinn über die Wasseroberfläche hielt. Die Rubicons haben nur moralischen Wert. Ihre Ufer werden breiter oder schmaler, je nach der Entschlossenheit oder Lässigkeit ihrer Anrainer. Im vorliegenden Fall bestand keine Ausnahme. Man braucht keine andere Erklärung mehr zu suchen.
    Der Oberst war von der Terrasse heruntergestiegen und stützte sich mit den Ellbogen auf das Gartengeländer am Rande des Strandes. Er wartete. Bei ihm befand sich der Staatssekretär, die Armee und auf dem Dach das letzte Maschinengewehr, dessen Lauf auf das offene Meer gerichtet war.
    »Es ist fast sechs Uhr«, sagte er. »Die Kanaken verspäten sich. Sie werden erleben, daß in den kommenden Jahren solche Verspätungen massenhaft auftreten werden.«
    Er drehte sich um und wies mit ausgestreckter Hand auf einen Punkt seitlich des benachbarten Berges.
    »Sehen Sie das Dorf dort? Wenn ich den Befehl zum Rückzug gebe, was nach meiner Meinung bald geschehen wird, dann sammeln wir uns da oben. Machen Sie mit, Herr Minister?«
    »Sicher, aber warum gerade in diesem Dorf?«
    »Wahrscheinlich gefällt es mir. Ich habe mich schon von weitem in dieses Dorf verliebt. Sehen Sie, wie harmonisch es in der Landschaft liegt. Man verspürt richtig Lust, dort zu leben. Da das Ende kommt, warum nicht ein Schmuckstück wählen, das uns glücklich macht …«
    Der alte Herr Calguès, der oben durch das Fernglas blickte, lächelte. Die Handbewegung des Obersten schien ihm alles zu sagen. Da man gleichen Sinnes war, schien es nicht verwunderlich, daß man sich auf Entfernung verstand. Der Westen war auch eine Art auserlesenes Denken, ein Einverständnis unter Ästheten, die Verschwörung einer Kaste und freundliche Gleichgültigkeit dem Gemeinen gegenüber. Diese Einstellung hatten nur noch wenige, aber für sie war der Ablauf des Geschehens leichter zu ertragen.
    Auf der Kommandobrücke der INDIA STAR fing die Kindesmißgeburt unter der Mütze plötzlich an zu geifern. Auf dem Oberdeck entstand eine wellenartige Bewegung. Die Menschenmasse wurde mit einem Schlag dichter, denn alle waren aufgestanden. Dieser Vorgang pflanzte sich auf allen Schiffen der Flotte fort.
    »Es ist soweit«, sagte der Oberst.
    Bestimmt kein historisches Wort! Dennoch faßte es alles zusammen. Ein flüchtiger, spöttischer Gruß war sein Geleit.

42.
     

    Bei der Invasion in der Normandie gab es den längsten Tag. Bei der jetzigen war es der kürzeste. In fünf Minuten war alles vorbei. Wenn der Schock am Strand zusammen etwa zwanzig Tote verursachte, so kann man keinesfalls von einer Schlacht sprechen, auch nicht von einem Kampf, nicht einmal von einem Zusammenstoß. Zweifellos war es der totalste, am wenigsten mörderische Krieg der Weltgeschichte. An was sich die wenigen westlichen Zeugen erinnerten, die später den Historikern zur Verfügung standen, war der Geruch. Sie hatten dafür nur ein Wort: »Es stank! Es war nicht auszuhalten, so stank es!« Nachdem diese Million Männer, Frauen und Kinder, die seit Kalkutta im Dreck und im Kot lagen, sich auf den Decks erhoben und alle, die im Innern des Schiffsrumpfs geschwitzt hatten und durch Urin und Ausdünstungen der Unterernährten eingeweicht waren, sich jetzt auf die Treppen stürzten und der Sonne entgegenstürmten, wurde der Gestank so stark, daß man glaubte, ihn greifen zu können. Und da noch ein starker, heißer Wind aus dem Süden, als Vorbote eines Sturms, auftrat, war es, als ob ein verwestes Monstrum mit aller Kraft seiner faulen Lungen aus offenem Mund blasen würde.
    Unter den Gründen, die zur schnellen Auflösung der Mannschaft des Panama Ranger führten, war dies nicht der letzte. Als später die offizielle Geschichte des Tages X der Brüderlichkeit geschrieben wurde, war nur von einer Bewegung der Avantgarde zum Hinterland die Rede, um »die Art des Empfangs« vorzubereiten. Was für ein Schwindel! Im Zwiespalt

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