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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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herunterhängenden Betondecke, die Maschinenpistole im Anschlag. Er hört Stimmen, russische Worte … er vernahm Kaljonins Organ, er lachte … dann war es still, aber nur für einen Augenblick. Dann hämmerte es aus einem versteckten Bunker über den Häuserblock. Ein deutscher Beobachtungsposten kämmte das Niemandsland vor sich ab. Er hatte eine Bewegung gesehen.
    »Idiot!« sagte Knösel halblaut. »Wennste wüßtest, wat da jeholt wird.«
    Es dauerte über zwei Stunden. Knösel wurde ungeduldig, Angst umklammerte sein Herz. Sie haben Iwan erwischt, dachte er. Hätte ich doch bloß die Fresse gehalten …
    Er wollte schon zurück zum Kino, als er vor sich das Prasseln von Steinen hörte, Rumoren, Schleifen, Keuchen. Von dem deutschen Bunker aus ballerte wieder eine Salve über das Vorfeld.
    »Aufhören!« brüllte Knösel. »Eigene Leute! Aufhören. Ihr Hornochsen! Eigene Leute …«
    Der Posten verstand zwischen zwei Feuerstößen den Ausdruck Hornochse und stellte sofort das Feuer ein. Die Nacht war dunkel und voll Schneenebel. Man sah nichts … aber die Geräusche wurden weitergetragen, klar und überdeutlich wie durch einen Sprechtrichter. Knösel stützte sich auf den Rand seiner herunterhängenden Decke.
    »Hier Sanitäter Feldlazarett III! Verstehst du?«
    »Ja …« Eine Stimme, wie aus der Weite des Himmels. »Kann ich das riechen …«
    Eine Leuchtkugel auf russischer Seite zischte auf. Knösel sah einen Schatten, der sich blitzschnell hinwarf. Er wartete, bis die Leuchtkugel wieder versunken war, dann sprang er vor und erreichte Kaljonin in der Haustür eines Hauses. Die Tür und ein bißchen Mauer herum waren das einzige, was von diesem Haus noch aufrecht stand. Kaljonin lehnte an der Mauer und keuchte. Er hatte keinen Atem mehr. Neben ihm lag ein großer Klumpen Fleisch, steinhart und schwer wie Blei. Die linke Hüfte eines Pferdes.
    »Ich nicht mehr kann tragen …«, stöhnte Kaljonin.
    »Mensch, Iwan!« Knösel umarmte Iwan Iwanowitsch. »Die janze Hüfte. Det reicht! Det reicht! Det wird 'ne Fettlebe!« Plötzlich ließ er Kaljonin los und lehnte sich neben ihm an die Türwand. »Kumpel, weißt du, daß du uns allen das Leben gerettet hast …«
    Kaljonin schwieg. Sein Atem pfiff.
    »Noch zwei Tage, und wir wären umjefallen wie de Mücken am Mottenpulver! Junge …« Knösel schluckte und legte den Arm um Kaljonins Schulter. »Warum is Krieg? Warum müssen wir zwee Feinde sein? War det nich schön, wenn wir alle Freunde sein könnten?«
    »Sähr schönn, Briederchen.« Kaljonin hob beide Arme in die Luft, er japste nach Atem. In seinem Brustkorb stach es wie mit tausend Nadeln. »Wir sind Freunde …«, sagte er röchelnd.
    »Aba nebenan hauen se sich die Birne ein! Is det nich zum Kotzen? Nur weil wir eenen Hitler haben und ihr 'nen Stalin! Sind wir nich blöde, Iwan?«
    »Ja.« Kaljonin nickte. »Aber kannst du machen Welt anders?«
    Nach vier Stunden Abwesenheit kamen sie zurück in den Kinokeller, zwischen sich die vereiste Pferdelende. Man hatte sie schon gesucht. Dr. Portner brauchte Knösel als Ordonnanz. Besuch war gekommen. Hoher Besuch.
    Im OP-Keller saß General Gebhardt. Verdreckt, mit zerrissener Uniform, hohlwangig, unrasiert, müde und seelisch zerbrochen.
    Ein General ohne Truppen.
    Der Kessel Stalingrad-Mitte war die erste der drei deutschen Widerstandsgruppen, die sich unter der massiven Beschießung und durch die Straße nach Straße, Ruine um Ruine abwalzenden T 34 auflöste. Regimenter bestanden nur noch aus vierzig Mann, Divisionen waren nur noch Nummern oder armselige Haufen von zweihundert Verhungerten und Verletzten, die sich in den Kellern verbargen, überrollen ließen, hinauskrochen, wie Schmeißfliegen an den Panzern klebten und sie in die Luft sprengten. Es gab keine Front mehr, kein Hüben und Drüben … alles verschmolz miteinander, ein Haus gehörte im Keller den Deutschen, in der zweiten Etage den Sowjets, man hockte Kellerwand an Kellerwand, hörte sich sprechen, begegnete sich an der Treppe und schoß aufeinander oder schlug sich die Köpfe ein. Es war ein völlig sinnloses Sterben, aber man starb, weil es nichts anderes mehr gab.
    General Gebhardt hatte am Nachmittag die letzten Meldungen bekommen. Zwei Meldegänger überbrachten die Nachrichten. Seine Division bestand nicht mehr. Es gab nur noch die Offiziere seines Stabes und ein paar Männer, die sich vor den Flammenwerferpanzern und der Lawine der sowjetischen Infanterie gerettet hatten. Das kleine

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