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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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nicht wahr, Herr Oberst?, oder als Kommandeure ihrer Divisionen in einem Wettrennen um Ritterkreuz, Eichenlaub, Eichenlaub mit Schwertern und so weiter stehen und nicht sehen, daß ihre Dekorierungen mit Blut gefärbt sind, diese ›Helden‹ werden immer bestimmend sein, gestern, heute, jetzt und morgen genauso wie übermorgen. Ob wir es noch erleben, Kollege Sukow … ich weiß es nicht, ich glaube es auch nicht. Mich dauert nur die kommende Generation, die diesen Herren genauso blind ausgeliefert wird, wie wir ihnen ausgeliefert worden sind! Ich könnte jetzt schon um die Jungen weinen, denen man später einmal mit vaterländischem Ergriffenheitstimbre in der Stimme von den Helden von Stalingrad erzählen wird, aber nicht von dem elenden Verrecken und lebendigen Verfaulen … Sie werden mit heißen Backen – wie wir von 70/71 oder die da draußen, die sich gerade im Eiter auflösen, von Langemarck, Verdun, Cambrais – von dem Kampf bis zur letzten Patrone hören, vom letzten Gotenkampf der Deutschen, vom leuchtenden Beispiel eines Mannestums, aber nicht vom Verrat an 330.000 Männern, von der Lüge und dem Untergang. Das wird man ihnen alles verschweigen, denn das paßt nicht in das heroische Bild des Deutschen. Ein deutscher Soldat stirbt mit Hurra oder einem Blick auf das Führerbild … aber er krepiert nicht, er kriecht nicht die Wände entlang und leckt sie ab, weil seine Gedärme brennen, Gedärme, die ihm aus dem Bauch hängen, die er hinter sich herschleift, und keiner kann ihm helfen, weil es keine Verbände mehr gibt, keine Beruhigungsmittel, nichts mehr. Wenn ich wüßte, daß wir hier sterben, um der kommenden Jugend zu zeigen: So ist es!, um ihnen ein Schreckensbild zu sein, das ihnen immer wieder zuruft, Tag um Tag: Nie wieder … dann würde ich, verdammt noch mal, auch ein Held werden. Aber ich weiß, daß man die kommende Jugend genau wie uns damals auch belügen wird und daß man dem, der die Wahrheit hinausschreit, auf das Maul schlägt.«
    Oberst von der Haagen verließ wortlos den OP-Keller. Dr. Portner sah ihm nach und faßte Dr. Sukow am Arm.
    »Wissen Sie, was er tun würde, wenn er so könnte, wie er jetzt wollte?«
    »Njet –«
    »Er würde mich erschießen lassen.«
    »Bei uns auch …«, sagte Dr. Sukow ruhig. Dr. Portner starrte ihn groß an.
    »Ich weiß …«
    »Sähen Sie, und darum sind wir Brieder …«
    »Und schießen doch aufeinander.«
    »Ein Schwein versteht nie, warum es gemästet wird. Es frißt und grunzt und ist glücklich. Es wundert sich selbst nicht, wenn es nachher geschlachtet wird …«
    Dr. Portner legte den Arm um Dr. Sukow.
    »Andreij Wassilijewitsch«, sagte er heiser vor innerer Bewegung, »wenn wir beide Stalingrad überleben, sollten wir ewige Freunde sein.«
    »Wir sind es, moi druk (mein Freund).« Er wandte sich ab und putzte sich die Nase. Die Luft war trocken und staubig und legte sich auf die Schleimhäute. Nur darum putzte sich Chefchirurg Dr. Sukow, Major der Roten Armee, die Nase …
    Die erste, die die Kellertreppe herabkam und sich durch das Geröll kämpfte, war Olga Pannarewskaja. Auf halber Höhe stand Dr. Sukow und half mit, große Trümmerstücke wegzurollen. Als er die Ärztin sah, streckte er ihr beide Hände entgegen und half ihr über eine Steinbarriere auf den unteren Treppenabschnitt.
    »Willkommen, Genossin«, sagte er freudig. »Ist alles in Ordnung?«
    »Alles, Genosse Major.«
    Sukow sah auf die Taschen, die die Pannarewskaja um den Leib geschnallt hatte.
    »Alles dabei?«
    »Alles. Ich mußte erst zum Hauptdepot, darum dauerte es drei Tage länger.«
    »Was gibt es sonst?«
    »Vieles und nichts, Genosse Major. Unsere Verluste sind schwer, aber es ist bald zu Ende in Stalingrad. Sie werden morgen mit zweihundert Salvengeschützen und Raketen die deutschen Stellungen beschießen. Nur ein paar Tage noch …«
    Dr. Portner kam ihnen entgegen. Er blieb wie vor den Kopf geschlagen stehen, als er die Pannarewskaja erkannte.
    »Das ist doch nicht möglich …«, sagte er ungläubig.
    »Ich habe alles bei mir.« Die sowjetische Ärztin schlug gegen die Ledertaschen an ihrem Gürtel. »Alles, was wir brauchen. Vor allem Morphium und eine Fahne, die uns schützt –«
    »Morphium …« Portner wischte sich über die Augen. »Wo … wo waren Sie denn?«
    »Im Sanitätsdepot.« Sie lachte ihn an, als sei dies das Selbstverständlichste gewesen. Portner wandte sich zu Dr. Sukow.
    »Sie haben das gewußt …?«
    »Ja.«
    »Darum Ihre

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