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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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ging er in der Nacht los, erkletterte das Ufer, tappte durch die ersten Trümmer und schnauzte die Offiziere an, die hier ihre Stabsquartiere aufgeschlagen hatten und den seltsamen Wanderer anhielten und in ihre Keller einlieferten.
    »Was soll's, ihr Herrchen?!« schrie Abranow und hämmerte mit seinem Knüppel auf die Böden. »Kann man in seiner Stadt nicht einmal Spazierengehen? Sitzt hier nicht rum, sondern befreit die Stadt! Nehmt euch ein Beispiel an meiner Enkelin! Sie ist an der Front! Jawohl! Und ich besuche sie! Ich will einer der ersten sein, der die rote Fahne auf dem Parteihaus hißt.«
    Man ließ den wirren Alten wieder frei, aber mit dem Befehl, sich sofort wieder an das Steilufer zu begeben. Abranow schlug dann immer einen Bogen und tappte weiter in die Stadt hinein. Er kannte die Gegend der großen Eisenbahnschleife gut, und so kam er rüstig voran, traf auf Truppen, die nach vorn marschierten, begrüßte Milizsoldaten und Arbeiterverbände, die in einer Linie mit den Soldaten kämpften, und er sah auch, daß in den Kellern der zerborstenen Häuser noch Frauen und Kinder lebten, die in den Nachtstunden nach oben kamen, um frische Luft zu schöpfen oder Verpflegung entgegenzunehmen. Tagsüber saßen sie unter der Erde, an die schwankenden und knirschenden Mauern gelehnt, verbanden die Verwundeten, die in die Keller taumelten, und füllten aus unterirdischen Brunnen Wasser in Kannen und Wassersäcke oder kochten Tee auf Öfen aus Bruchsteinen und Lehmziegeln. Selbst die Kinder halfen mit … in Bottichen wuschen sie die blutigen Verbände und rollten die getrockneten Binden zusammen.
    Immer wieder blieb Abranow stehen und erzählte von Vera, seiner Enkelin. »Im Lazarett ist sie, bei dem Chirurgen Sukow. Welch ein mutiges Mädchen, nicht wahr, meine Töchterchen? So mutig wie ihr! Man kann stolz sein, wirklich, man kann stolz sein auf sein Volk!«
    Über dem ›Tennisschläger‹ lag Nachtruhe. Zwischen den Trümmern krochen die Sanitäter herum und sammelten die Verwundeten auf. Einsame Doppelgestalten mit pendelnden Zeltplanen zwischen sich klapperten durch die Nacht. Ein paar Zurufe, Stimmen, Stöhnen, Wimmern, Jammern. »Mamuschka! O Mamuschka!« Seufzen, Weinen, wieder Stimmen. Ein Handscheinwerfer, dessen Licht schnell über die Trümmer glitt. Deutsche Helme neben sowjetischen Helmen, schweigend, Lasten tragend, Erkennungsmarken durchbrechend, Soldbücher aus zerfetzten Uniformen suchend.
    War es ein Glück, daß Pawel Nikolajewitsch Abranow gerade in diese Stille hineinkam und nicht in die brüllende Schlacht? Vielleicht wäre er umgekehrt vor dieser Feuerwand und hätte sich gesagt: Nein, Alterchen. Das geht zu weit. Zum Helden muß man jünger sein! – Aber so war es etwas anderes. Es war schlimm genug, das Röcheln der Sterbenden zu hören, aber es war niemand da, der Abranow fragte, was er hier wolle.
    Nur einer fragte es, aber Abranow konnte ihm nicht mehr antworten. Ein Tunguse war's, ein kleiner, krummbeiniger Reiter aus der ostischen Weite. Er lag auf einem Mauerstück, aufgebahrt wie auf einem Katafalk, und hielt beide Hände gegen den Bauch gepreßt. Dort quollen ihm die Därme heraus, aus einer riesigen Wunde, die ein deutscher Granatsplitter aufgerissen hatte. Neben dem kleinen Reiter lag eine Pistole, sie hatte eben noch Platz neben dem Körper auf dem Mauerstück.
    Wie ein Geist aus der Tiefe, so tauchte die hohe Gestalt Abranows aus der Dunkelheit auf. Sein Schaffellmantel und die Karakulmütze zogen seine Gestalt in den Himmel, ein Riese war er für den, der ihn von unten her ansah.
    So sah ihn auch der kleine Tunguse mit seinen hervorquellenden Därmen. Er hatte gelernt, daß es Dämonen gäbe … Dämonen, die die Ernte vernichten, Dämonen, die den Wind in die Wälder pressen und sie zerstören, Dämonen, die eine Kuh nicht kalben lassen, Dämonen, die Flammen auf die Hütten setzen. Und Dämonen, die das Leben nehmen, um die Sonne zu versöhnen und die Trockenheit abzuwenden.
    Und siehe da, ein solcher Dämon kam in dieser Stunde zu ihm, geboren aus der Feuerhölle der Stadt, die ihm schon den Leib aufgerissen hatte. Nun war er da, der Geist des Feuers, und er wollte das Leben des kleinen Tungusen Kulai Samara nehmen.
    »Nein!« schrie er. »Nein!« Und er betete schnell den Zauberbannspruch seines Volkes, griff nach der Pistole, umklammerte mit seinen glitschigen Fingern den Knauf und richtete die Waffe auf den schleichenden Dämon.
    Es war Abranow, als stoße ihn jemand

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