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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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von Beukow blieb zurück bei den anderen, den Hoffnungslosen. Bevor Dr. Körner ins Führerhaus kletterte, hielt ihn der Hauptmann fest.
    »Herr Kamerad, darf ich um Ihre Pistole bitten … ich habe meine unsinnigerweise weggeworfen.«
    Körner zögerte. Er starrte in die flehenden Augen des Offiziers, auf die ausgestreckte, blaugefrorene, aber ruhige Hand. Da nestelte er seine Pistole aus dem Futteral und legte sie in die bittende Hand des Hauptmanns.
    »Danke, Herr Kamerad.« Hauptmann von Beukow grüßte. Dann fuhr der Wagen an … nach einem Aufheulen des Motors schluckte der Schnee jedes Geräusch. Nur den trockenen Knall eines Schusses verschluckte er nicht. Dr. Körner hörte ihn … er hatte auf ihn gewartet.
    Hauptmann von Beukow, dachte er. Wie wird es draußen in Deutschland heißen? Gefallen auf dem Feld der Ehre für Großdeutschland. In stolzer Trauer …
    Man müßte schreien, dachte er. Man müßte nichts anders tun als schreien … schreien … immer nur schreien …
    Er lag in einem Erdloch, umgeben von verbrannten Balken und heruntergerissenen Decken. Es war ein großes Loch mit einem Dach darüber. Unterstand nannte man so etwas, oder ganz vornehm Bunker. Er war hineingekrochen, weil er nicht mehr spürte, daß er kroch, weil er mit dem Kopf an die Steine schlug und mit dem Gesicht über die Trümmer schleifte. Es war ein Zufall, daß der Unterstand verlassen war … so dachte er jedenfalls. In Wirklichkeit konnte man ihn am Tage einsehen … gegenüber, in den vierstöckigen Trümmern eines ehemaligen Kaufhauses, saßen neunzehn sibirische Scharfschützen und beherrschten im Umkreis von fünfzig Metern jede Bewegung. Sie schossen auf Menschen und Ratten, auf im Wind wehende Tuchfetzen oder auf vor dem Schneesturm herrollende Stahlhelme und Gasmaskenbüchsen. Sie schossen auf alles, was sich bewegte, auch auf den kleinen Unterstand, in dem bisher zwölf deutsche Posten gefallen waren. Nachts hatte man sie dann herausgeholt, bis der Postenstand aufgegeben wurde.
    Nun lag er darin, froh, ein Dach zu haben, glücklich, in Sicherheit zu sein. Er wischte sich das Blut von dem zerschabten Gesicht, streckte sich und riß den Mund weit auf, um wieder einmal richtig atmen zu können. Dabei schmerzte die Rückenwunde höllisch, aber das Atmen war schöner, der Strom eiskalter Luft, der in die Lunge strömte, legte sich auf die Glut, die in seinem Inneren brannte. Das ist das Fieber, dachte er. Das Wundfieber. Ich werde es vereisen … ich werde das Fieber vereisen … Eine jungenhafte Freude über diesen Gedanken breitete sich in ihm aus. Und dann war ein anderer klarer Gedanke da … Du wirst wahnsinnig. Du bist dabei, irr zu werden. Du, der Pastor Jörg Sanders aus dem kleinen mecklenburgischen Ort Rötzburg, wirst jetzt wahnsinnig. In einem Trichter mitten in Stalingrad. In einem Schneesturm. Du wolltest helfen und das Evangelium lesen, du wolltest das Abendmahl feiern und die Sterbenden Gott empfehlen. Herr, nimm sie auf zu dir in die Ewigkeit. Sie sterben schuldlos wie die Lämmer … man trieb sie auf die Schlachtbank. Herr, sei gnädig mit ihnen … auch der größte Sünder unter ihnen hat in den Trümmern mehr gebüßt, als tausend Menschen sündigen können. Das wollte ich sagen … und nun werde ich wahnsinnig. Ich reiße den Mund auf, um mein Fieber zu vereisen.
    Er lag ganz still und wartete. Auf was, wußte er nicht. Eigentlich muß man merken, wenn man wahnsinnig wird, dachte er nur immer wieder. Die Schulter brennt, und der Brand zieht sich quer durch die Brust, klettert im Nacken hoch und füllt den Kopf mit Flammen aus. So muß es gewesen sein, als die Märtyrer verbrannten … man wird selbst zur Flamme, und dann kommt der Augenblick, wo es keine Schmerzen mehr sind, wo man nichts mehr spürt, wo die Grenze des Erträglichen überschritten ist, wo es nur noch ein Wundern gibt … das Wundern, daß man noch lebt.
    Gegen Morgen begann er zu singen.
    Es war selbstverständlich, daß er sang. Er sah sich in seiner kleinen Kirche von Rötzburg, der Kantor trat die Orgel, die achte Klasse der Schule sang im Chor, und er stand vor dem Altar mit dem großen, aus Holz geschnitzten Korpus, hatte die Hände vor dem Talar gefaltet und sang mit. Wie immer übertönte seine Stimme Orgel, Kinder und Gemeinde. Er hatte eine gute Stimme, voll und tönend, in der Höhe etwas rauh, aber immer das ganze Kirchenschiff füllend. Jesus, meine Zuversicht … sang er. Und dann: Macht hoch die Tür, die Tor macht

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