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Das Herz der 6. Armee

Das Herz der 6. Armee

Titel: Das Herz der 6. Armee Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Heinz G. Konsalik
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weit … Und schließlich: Süßer die Glocken nie klingen als in der Weihnachtszeit …
    In dem vierstöckigen Warenhaus unweit des kleinen Unterstandes saßen die sibirischen Scharfschützen und lauschten. Der Gesang klang bis zu ihnen hinauf, und sie wären keine Russen gewesen, wenn sie ihm nicht gelauscht hätten, ohne zu schießen, ohne zu suchen, woher diese schöne Stimme kam. Sie hockten hinter ihren Sandsäcken und Barrikaden aus Mauersteinen, hatten die Gewehre mit den Zielfernrohren losgelassen und rauchten in der hohlen Hand ihre Machorkazigaretten.
    Der Morgen kroch über die Trümmer, der Schneefall ließ nach, und auch die Stimme erstarb.
    Pastor Sanders lag auf dem Rücken und war selig. Er sprach mit seiner Frau Lisa. Sie war ihm ganz nahe … sie beugte sich über ihn, ihre großen blauen Augen sahen ihn gütig an, so verständnisvoll wie immer. »Das war eine gute Predigt, Jörgi«, sagte sie. »Du hast den Leuten richtig die Meinung gesagt. So muß es sein … ein Pfarrer ist nicht nur ein Verkünder, er ist auch ein Kämpfer.«
    Als die sibirischen Scharfschützen ihr Schußfeld wieder einsehen konnten, lag Pastor Sanders in tiefer Ohnmacht. So rührte sich nichts in dem kleinen Erdloch mit dem Lattendach darüber. Daß ein Körper darin lag, war uninteressant. Er war bewegungslos. Auch als zwei Paks das Warenhaus beschossen und ein Stoßtrupp gegen die Scharfschützen vorging, schlief Pastor Sanders.
    Bei Einbruch der Dämmerung schleiften ihn drei Landser in den Keller der 4. Kompanie eines Pionierbataillons. Sie legten ihn auf einen alten Mantel in die Ecke. Es waren Bayern, derb und illusionslos.
    »Dös is dös erstemal, dös i an Pfarrer sterben seh«, sagte der eine.
    »Na und?« Der andere hielt die Hände über die Platte eines Ofens aus einer alten Öltonne. »Glaubst, jötz singen de Engelein …?«
    »Sauhund blöder!« Über ihnen krachte es. Die Decke des Kellers bröckelte ab, der Boden schwankte. »I hob genug ›Vom Himmel hoch …‹!«

9
    Im Armeeoberkommando bei Gumrak herrschte noch immer gedämpfter Optimismus. Man spürte es an kleinen Dingen: Die Stabsoffiziere hatten noch ihre Burschen, die jeden Morgen die Stiefel blank wichsten, beim Essen bedienten Ordonnanzen an Tafeln mit weißen Tischtüchern, es wurde zackig gegrüßt und ebenso zackig gemeldet, die Funksprüche aus dem Führerhauptquartier wurden geglaubt, nur wenn man auf den Reichsmarschall zu sprechen kam, wurde man unsachlich und schob ihm den Schwarzen Peter der ganzen Misere zu. Die Versorgung aus der Luft brach von Tag zu Tag mehr zusammen. Nur ein Bruchteil der versprochenen Tonnenzahl wurde eingeflogen. Beruhigend war lediglich, daß immer wieder von Hermann Göring versichert wurde, alle verfügbaren Flugzeuge würden aus anderen Fronten abgezogen und nach Stalingrad geworfen, um die 6. Armee so lange zu versorgen, bis von außen der Durchbruch durch den Einschließungsring gelungen sei.
    In einem Operationsbunker wartete der Pathologe aus Berlin. Er war eine fremdartige Erscheinung inmitten der Uniformen, ein Zivilist, gut genährt, ohne hohle Augen, sauber rasiert, mit gepflegten Fingernägeln. Sein weißer Arztkittel war blütenweiß, seine Gummischürze gelbrot und neu, seine Gummihandschuhe hellgelb und dünn. Auf einem weißgedeckten Seitentisch hatte er sein anatomisches Besteck sauber ausgebreitet, einige Glasbehälter für die Präparate standen daneben. Der Oberstarzt und einige andere Stabsärzte, die aus Stalingrad selbst oder aus den Dörfern des Kessels gekommen waren, standen um den Seziertisch herum und rauchten stumm. Auch Oberst von der Haagen war da. Er stand nicht mehr vor der großen Rußlandkarte und erklärte den Vormarsch der deutschen Divisionen bis Wladiwostok und an die chinesische Grenze. Er war sehr still geworden und kratzte sich die Nase, als jucke sie heftig, als er den Assistenzarzt Dr. Körner sah. Den habe ich noch vor kurzem ferngetraut, dachte er. Damals sah alles ganz anders aus. Er wandte sich um und ging zu dem Berliner Pathologen, um Dr. Körner nicht begrüßen zu müssen.
    »Na, Sie letzter Zivilist«, rettete sich von der Haagen in den Sarkasmus, »wie sieht's in Berlin aus? Was man im Radio hört … muß ja ein toller Siegeswillen im Volke sein! Das macht uns stark, mein Bester, glauben Sie mir. Wenn hinter den Waffen die Herzen stehen, das spürt die Front. Das gibt uns starken Halt, wenn sich der innere Schweinehund meldet und bis zum Kragenknopf bellt.

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