Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
gütig und freundlich sie alle waren, wie loyal. Und das war immerhin ein Trost, dieses Wissen, dass es Joshua nie an Liebe und Fürsorge mangeln würde.
Sie sah zurück zu der neu angekommenen Frau im Gerichtssaal.
Sie war dunkelhaarig, schlank, in einem dunkelblauen Kostüm, und sie schien unsicher, nervös, blass sogar.
Wohl doch keine Sachverständige.
Wagner und Alonso waren sich wegen irgendetwas uneins.
Wenn das hier ein Film wäre, dachte Grace, dann wäre es vermutlich ein Versuch, einen neuen Beweis vorzubringen, vielleicht zu spät ...
Aber es war kein Film.
Ihr Magen rumorte, und ihr Herzschlag beschleunigte sich wieder.
Sie sah Sam an, sah, dass sein Blick auf der Frau ruhte.
Und auf einmal wusste Grace, wer sie war.
Wer sie sein musste.
Sie betete, Arthur Brazen möge ein aufgeschlossener Richter sein, der es vielleicht in Betracht ziehen würde, es mit den Vorschriften nicht so genau zu nehmen. Der zulassen würde, was immer diese Frau in den Gerichtssaal gebracht hatte. In seinen Gerichtssaal, seine Auslegung des Gesetzes. Grace lag in seinen Händen.
Die Anwälte kehrten an ihre Tische zurück und nahmen Platz.
Wagner blätterte ein bisschen in seinen Unterlagen, machte sich eine Notiz, steckte seinen Stift dann ein, nickte und erhob sich wieder, mit nichts in den Händen.
Und sagte: »Ich rufe Gina Bianchi in den Zeugenstand.«
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Sam und die anderen saßen stocksteif da.
Grace fühlte sich, als würde das Leben an ihr vorbeiziehen, als würde sie den Gerichtssaal in einer Art körperlosem Schwebezustand aus der Ferne beobachten.
Gina Bianchi war vereidigt worden.
Die Schwester des Toten, von Grace’ Opfer. Die Frau, die Sam geohrfeigt hatte, als er mit David zu ihren Eltern gefahren war.
Jenen Eltern, die jetzt im Gerichtssaal saßen, mit neuer Verzweiflung in ihren Augen.
Gina Bianchi, die Sams Flehen rundheraus zurückgewiesen hatte, als er vor drei Tagen nach Naples gefahren war, um mit ihr zu reden, hatte noch immer allen Grund der Welt, Grace ins Gefängnis zu wünschen.
Oder Schlimmeres.
Jerry Wagner hatte mit seiner Befragung begonnen.
»Miss Bianchi, können Sie uns sagen, warum Sie sich nicht schon früher gemeldet haben?«
»Ich war in Trauer«, antwortete sie. »Und bis vor Kurzem war mir nicht bewusst, dass ich Informationen mitzuteilen hatte, die für diesen Fall relevant sein könnten.«
»Und Sie wollten nichts tun, was das Andenken Ihres Bruders beschädigen könnte.«
»Einspruch.« Elena Alonso stand auf.
»Stattgegeben«, sagte der Richter. »Aber da das hier keine Verhandlung ist, lassen Sie uns einfach in Erfahrung bringen, warum Miss Bianchi hier ist.« Er lächelte sie an. »Mit Ihren eigenen Worten.«
»Danke«, erwiderte sie. »Es fällt mir sehr schwer.«
»Lassen Sie sich ruhig Zeit.«
Sie nickte, fand ihre Fassung wieder. »Um die Zeit, als Jerome Cooper, der Mörder, festgenommen wurde, habe ich ein paar Berichte in den Nachrichten gesehen.«
»Der mutmaßliche Mörder«, korrigierte Richter Brazen sie.
»Ja, Euer Ehren«, nickte sie. »Entschuldigung.«
»Schon gut.«
Sie schüttelte den Kopf. »Ich werde versuchen, die Dinge chronologisch zu ordnen, aber das fällt mir sehr schwer. Ich habe versucht, meinen Eltern zu helfen, den Tod meines Bruders zu bewältigen, und dann wurden uns auf einmal Fragen zu Richard gestellt, die nichts damit zu tun hatten, dass er getötet wurde. Leute redeten von seinem Wagen, wollten seinen Computer sehen, seine Wohnung durchsuchen.«
»Fahren Sie fort«, forderte Wagner sie sanft auf.
»Insbesondere suchte Detective Samuel Becket ein paar Tage vor Richards Beerdigung meine Eltern zu Hause auf, um sie, wie ich glaube, zu überreden, ihn den Computer sehen zu lassen. Ich wurde leider sehr wütend. Zu wütend, um richtig auf das zu hören, was er zu sagen hatte.«
»Was hat Detective Becket gesagt?«, fragte Wagner.
»Dass er glaubt, mein Bruder könnte von Jerome Cooper benutzt worden sein.«
»Und Sie hatten den Eindruck, das sei nicht wahr?«
»Natürlich. Ich hatte den Eindruck – ich wusste –, dass der eigentliche Grund seines Besuchs war, zu versuchen, seiner Frau aus der Klemme zu helfen, die meinen Bruder getötet hat.«
Wagner wartete einen Moment.
»Und hat sich seitdem irgendetwas geändert, Miss Bianchi?«
»Ja.« Ihre Stimme wurde leiser.
»Es tut mir leid, Miss Bianchi«, mischte Richter Brazen sich ein, »aber ich muss Sie bitten, deutlicher zu sprechen.«
»Natürlich.
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