Das Herz der Dunkelheit: Psychothriller (German Edition)
zog sich aus und wusch sich das bisschen Make-up ab, das sie an diesem Morgen aufgetragen hatte, und kämmte sich das Haar und zog ein Nachthemd an.
»Das werde ich nie müde«, sagte Sam.
»Was?«
»Dir zusehen, wie du das tust.«
Sie lächelte ihn an, aber es schien ein unglaublich trauriges Lächeln zu sein. Wenig später kam sie ins Bett und knipste das Licht auf ihrer Seite aus.
»Gute Nacht!«, sagte sie.
»Ich liebe dich, Gracie«, flüsterte er und küsste sie.
»Ich dich auch.«
Sie war binnen Minuten eingeschlafen, und Sam war froh über ihre vorübergehende Flucht. Er wünschte, er selbst könnte genauso abschalten, aber Charles Duggan ging ihm noch immer nicht aus dem Kopf. Gleich morgen früh würde er mit Mike Alvarez reden und versuchen, den Lieutenant auf seine Seite zu bringen.
Um kurz nach elf stieg er leise aus dem Bett, ging wieder nach unten und sah noch ein bisschen fern. Er spürte, wie irgendetwas an ihm nagte, ohne dass er genau sagen konnte, was. Nach einer Weile schlief er auf dem Sofa ein.
Als er aufwachte, hatte irgendjemand eine Decke über ihn gelegt, und er fragte sich, ob es Grace gewesen war. Er wünschte, sie hätte ihn stattdessen geweckt, damit er mit ihr wieder ins Bett hätte gehen können. Aber jetzt war es nach fünf, und er musste früh raus.
Er ging hoch, wollte gern nach Joshua sehen, aber der schlief ja in Robbies Zimmer. Und auf einmal vermisste er ihr Zuhause, ihr richtiges Leben , mit einer solchen Heftigkeit, dass er sich beherrschen musste, um nicht mit der Faust gegen die Wand zu schlagen.
»Bleib locker!«, befahl er sich leise.
Er öffnete die Tür zu ihrem Zimmer.
Grace schlief, das Haar ausgebreitet auf dem Kissen.
Er wollte wieder zu ihr ins Bett, wollte sie halten, sie wachküssen.
Aber er wusste, dass das egoistisch wäre.
Er seufzte, ging ins Bad und schloss leise hinter sich die Tür.
78
10. Mai
Da sie am Montagmorgen vor Viertel nach elf keine Patienten hatte, fuhr Magda mit ihrem Lexus Hybrid zu Shrinkwrap Publications. Der Verlag am Biscayne Boulevard brachte neben medizinischen und Selbsthilfebüchern die Zeitschrift Grundkurs Psychologie heraus.
Ihre Lektorin war außer Haus, aber eine Sonntagsausgabe des Herald, aufgeschlagen bei den Fotos von Grace und Charles Duggan, lag auf dem Empfangstresen. Die junge Empfangssekretärin kam ihr vage bekannt vor, aber sie trug kein Namensschild.
Magda versuchte ihr Glück.
»Ich sehe, Sie haben sich das auch eben angeschaut«, sagte sie in ihrem liebenswürdigsten Ton.
»Na klar.« Die Augen der anderen Frau schienen vor Aufregung fast zu funkeln. »Ich wollte eben schon die Telefonnummer in dem Artikel anrufen, aber eine der Lektorinnen sagte, sie würde es tun.«
»Ich dachte auch, ich würde ihn kennen«, lächelte Magda, »aber ich konnte ihn nicht ganz einordnen.«
»Das ist Richard Bianchi«, erklärte die Empfangssekretärin. »Er ist – er war – ein freiberuflicher Redakteur. Vor einer Weile ist er hier ständig ein- und ausgegangen.«
Wieder in ihrem Lexus, im Begriff, Grace anzurufen, überlegte Magda es sich anders.
Sie hatte Sams Handynummer nicht, aber sie wusste mit Sicherheit, wo er arbeitete.
Sie rief bei der Auskunft an und ließ sich verbinden.
79
»Aber wenn«, sagte Sam zu Lieutenant Alvarez, »Charles Duggan, auch bekannt als Richard Bianchi, jetzt für den Mordfall Ricardo Torres von Interesse ist, dann ist er damit doch auch für den Mord an Andrew Victor von Interesse und folglich Teil eines Falls von Miami Beach, oder?«
Er war seit fast zehn Minuten in Alvarez’ Büro, wäre schon viel früher dort gewesen, wenn der Lieutenant nicht in einer Besprechung mit Captain Kennedy gewesen wäre. In der Zwischenzeit hatte Magda Shrike angerufen, und Sam hatte mit Dave Rowan gesprochen, der zwei Anrufe von Shrinkwrap Publications erhalten und Sam bereitwillig ein paar erste Anhaltspunkte zu dem Toten mitgeteilt hatte.
Geboren in Fort Myers, Florida, vor achtundzwanzig Jahren. Ein überwiegend erfolgloser Autor, der ein paar Features und zwei Kurzgeschichten veröffentlicht hatte, mit denen er sein Einkommen als Redakteur aufbesserte.
Das war so ziemlich alles, was die Verleger über Richard Bianchi in ihren Unterlagen hatten.
Keine Vorstrafen.
Aber ein Name .
Und jetzt hatte Sam, dank der Kooperation des Broward-Detectives, auch seine Adresse am North River Drive.
Gar nicht weit von Sadies Bootswerft.
»Wir brauchen einen Durchsuchungsbefehl«, sagte
Weitere Kostenlose Bücher