Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
sich gaben.
Unmittelbar neben dem Hotel plätscherte der Ciliwung vorbei, der auch den Botanischen Garten durchzog und dann nordwärts floss, durch Batavia hindurch, wo er sich im schnurgeraden Bett seines Kanals ins Meer ergoss. Am Flussufer neben dem Bellevue drängten sich Hütten zu einem Dörfchen zusammen, und unbeeindruckt von den Hotelgästen, die von den Veranden ihrer Zimmer aus zusahen, badeten die Männer und Frauen morgens im Fluss. Tagsüber wuschen die Frauen ihr Essgeschirr und die Wäsche darin, während ihre Männer bei der Arbeit waren und die Kinder wie kleine braune Frösche im Wasser herumsprangen. Ein kleiner Eindruck des einheimischen Lebens in Buitenzorg, den Jacobina da gewonnen hatte, und bei ihren Streifzügen durch die Kampongs der Stadt und durch das chinesische Viertel hatte Jan ihr weitere vermittelt, während sie an den Buden der Fruchthändler, Tuchweber und Korbflechter vorbeischlenderten, an einfachen Häuschen oder auch nur Hütten, um die sich Hecken von Lantana mit ihren winzigen bunten Blütentrauben zogen. Munter leuchteten die Sterne der Poinsettien, vor denen nackte Kinder herumtobten und Frauen mit Farbe aus irdenen Töpfen Schicht um Schicht ausdrucksvolle Muster in Sarongs färbten. Und in einem Wagen waren sie auf die Hügel hinausgefahren, die die Stadt umgaben, bis zu den Terrassenfeldern am Fuße des Gedeh, die aus der Ferne den Stufen eines antiken und nicht ganz regelmäßig gebauten Amphitheaters ähnelten, mal smaragdgrün, mal safrangelb, mal bläulich funkelnd wie eine Glasscherbe, wenn sich im Wasser auf den Reisfeldern die Sonne spiegelte.
»Es ist irgendwie so … friedlich hier«, setzte sie nach einer kleinen Pause hinzu.
»Das stimmt.« Jan streichelte ihre Schulter. »Buitenzorg trägt seinen Namen zu Recht – ohne Sorge. Ein ostindisches Sanssouci. Manche nennen es auch das Versailles der Tropen. Hier lässt es sich gut leben. Wer es sich leisten kann, entflieht der Hitze in Batavia so oft wie möglich und verbringt die Wochenenden oder ganze Wochen und Monate lieber in Buitenzorg. – Sieh mal, da.« Er deutete mit einer Kopfbewegung auf die Nachahmung eines altgriechischen Tempels; dicke, glatte Säulen aus hellem Marmor, die auf einem Piedestal das runde Dach über einem Steinblock mit Inschrift trugen. »Der Gedenkstein für Lady Raffles, die Gattin von Sir Stamford Raffles, dem Vizegouverneur, als Java während der Kriege gegen Napoleon für kurze Zeit britisch war, der die Stadt von Singapur, wie wir sie kennen, gegründet hat.«
Jacobina spürte, wie er sie beobachtete, während sie neugierig näher trat, schließlich den Schritt auf das Piedestal hinauf machte und die Inschrift eingehend betrachtete.
»Lady Raffles ist es übrigens zu verdanken«, erzählte er hinter ihrem Rücken, »dass die europäischen Frauen in Batavia heute kein Betel mehr kauen, aber Sarong tragen. Das eine fand sie abscheulich, das andere praktisch.«
Im einheimischen Viertel von Buitenzorg hatte Jacobina zum ersten Mal beobachtet, dass die Einheimischen etwas kauten, das ihre Zähne, die Lippen und das Zahnfleisch rot färbte, als äßen sie blutiges Fleisch: Betel, eine Mischung aus den Blättern und der Nuss des Betelpfeffers, Gewürzen und gelöschtem Kalk. In Batavia war dieser Genuss nicht mehr so weit verbreitet wie früher, da die Europäer, die einst selbst Betel gekaut hatten, diese Sitte bei ihren Bediensteten unschön fanden und zudem unter den Einheimischen das wesentlich stärkere Opium als Rauschmittel an Beliebtheit gewonnen hatte.
Jacobina nickte, aber sie konnte ihren Blick nicht von dem Marmorstein lösen.
»Was denkst du?«, hörte sie Jan nach einer Weile fragen.
»Wie es wohl sein muss, in der Fremde zu spüren, dass die Zeit, die man auf Erden verbracht hat, zu Ende geht. Und wie es sein muss, in der Fremde zu sterben.« Sie wandte den Kopf und sah ihn an, verlegen über diese Gedanken; solch morbide Gedanken an einem so schönen Ort, an einem so herrlichen Tag.
Jans Miene wirkte nachdenklich, beinahe andächtig. »Ich weiß es nicht«, erwiderte er leise. »Aber wenn ich es mir aussuchen dürfte, würde ich meine letzten Tage und Stunden lieber mit Ausblick auf eine solch paradiesische Landschaft verbringen, als auf eine graue Häuserzeile in einer europäischen Stadt zu schauen. Das gäbe mir das Gefühl, schon einen Blick auf die Herrlichkeit des Herrn werfen zu können, noch bevor er mich zu sich geholt hat.« Er lächelte und
Weitere Kostenlose Bücher