Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Ausgabe musste sich rechnen. Denn wenn sich kein Mann für Jacobina fand, würde ihr nichts anderes übrig bleiben, als den Rest ihres Lebens erst weiter das Anhängsel ihrer Eltern, irgendwann später einmal das von Henrik und Tine oder das von Martin zu sein. Die bedauernswerte, lästige alte Jungfer. Eine andere Aussicht bestand nicht. Nicht in Amsterdam; nicht in den Niederlanden, in denen es für Töchter aus gutem Hause keine Möglichkeit gab, ihren Lebensunterhalt selbst zu verdienen oder auch nur allein und selbstbestimmt zu leben.
»Deshalb will ich nach Batavia«, wisperte Floortje mit glänzenden Augen. »Stell dir doch nur mal vor – all die Junggesellen auf Java, die mit Kaffee, Tee und Chinin zu Geld gekommen sind! Die keine Frau zum Heiraten finden, weil die Mädchen bei uns das Leben in der Fremde scheuen. Das ist doch das große Los für mich! Und«, sie stützte sich auf den Armlehnen ab, stemmte sich ein Stück hoch und spähte über ihre Schulter hinweg unter das Sonnendach, bevor sie sich zurückfallen ließ und sich zu Jacobina hinüberbeugte, »und ich bin mir sicher, deswegen haben der Major und seine Frau auch die Lambrechts mit dabei!«
Auf Jacobinas Stirn bildeten sich Furchen. »Meinst du wirklich?«
»Auf jeden Fall!«, bekräftigte Floortje im Flüsterton. »Die ist ja ohnehin nicht gut auf mich zu sprechen, aber wehe, Herr Aarens hält sich in meiner Nähe auf … Tot umfallen müsst ich, so böse schaut sie mich an!« Sie streckte sich auf der Sonnenliege aus und rekelte sich wohlig. »Der Ärmste tut mir jetzt schon leid, sollte sie ihn je in ihre Fänge kriegen.« Mit einem Aufkichern reckte sie ein Bein herüber und stupste mit der Fußspitze Jacobinas Knie an. »Vielleicht finden wir dort ja auch noch einen Mann für dich!«
Jacobina bemühte sich, ihre Knie unauffällig aus Floortjes Reichweite zu bringen, und rang sich ein verkniffenes Lächeln ab. »Wohl kaum.«
Nach den endlosen Wochen, in denen Jacobina ihre Eltern in einem zähen Ringen zu überzeugen versucht hatte, sie gehen zu lassen, hatte letztlich ein Argument schwerer gewogen als alles andere: die Hoffnung Bertha van der Beeks, ihre Tochter, die trotz aller Bemühungen mit sechsundzwanzig immer noch unverheiratet war, würde vielleicht doch noch eine annehmbare Partie machen. In den ostindischen Kolonien, in denen auf eine Frau fünf Männer kamen und wo es deshalb vielleicht keine allzu große Rolle spielte, dass sich bei Jacobina die guten Erbanlagen der van der Beeks und der Steenbrinks zu keinem gefälligeren Äußeren verbunden hatten. Und Jacobina, beseelt von dem Wunsch, endlich ein eigenes Leben zu führen, hatte ihrer Mutter nicht widersprochen. Sie hatte ihr aber auch nicht erzählt, dass eine Heirat nicht mehr für sie in Frage kam. Die Freiheit, die sie sich von ihrem neuen Leben in der Fremde erhoffte, würde sie sich nicht mehr nehmen lassen.
»Warum denn nicht?«
Die Antwort darauf blieb Jacobina ihr schuldig. In kurzen Hosen und sein Steckenpferd hinter sich herschleifend, marschierte der kleine Joost an den Sonnenliegen vorüber. Sonst ein Rabauke, schlich er seit Neuestem vorsichtig und auf Abstand bedacht um Jacobina herum, still und mit großen Augen, in denen aber immer ein besonderer Glanz lag. Seine Schritte wurden unregelmäßig und verlangsamten sich; er blickte zu den Decksplanken hinab, und mit gerunzelter Stirn schlenkerte er dann bei jedem zweiten Schritt den rechten Fuß hoch, um dem losen Schnürsenkel seines Schuhs Herr zu werden.
Jacobina drehte sich um. Frau Verbrugge war immer noch in ihr Häkeldeckchen vertieft und lauschte aufmerksam Frau Ter Steeges Ausführungen, und so legte Jacobina ihr Buch beiseite und stand auf.
Neben dem Jungen ging sie in die Knie. »Soll ich dir den wieder zubinden?«
Joost ließ seine klarblauen Augen zwischen dem Schuh und Jacobina hin und her wandern, bis er schließlich nickte, ein winziges Lächeln um den Kindermund.
»Pass gut auf!« Während sie die losen Enden zur Schleife band, wiederholte sie den alten Reim, mit dem ihre Kinderfrau ihr das Zubinden beigebracht hatte. »Die Maus baut ein Haus … geht ums Haus … und kommt vorne … wieder raus!« Sie sah den Jungen an. »Fertig! Gut so?«
Das Lächeln auf dem pausbäckigen Gesicht des Jungen hatte sich zu einem Strahlen ausgedehnt; hingebungsvoll lag sein Blick auf Jacobina. Schließlich nickte er und setzte sich langsam in Bewegung, immer noch glückselig und ohne die Augen von ihr
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