Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
vielleicht noch Toast mit Butter. Klingt gut.« Er stellte sein Glas ab, stand auf und zog an der Klingelschnur neben dem Bett; Floortje vermeinte das kleine Glöckchen draußen zu hören, das einen der Bediensteten, die immer auf dem Gelände herumsaßen, aufs Zimmer rufen sollte.
Barfuß tappte Holtum mit schweren Schritten durch den Raum und auf den Türrahmen zu, blieb dann stehen, als hätte er etwas vergessen, und wandte sich um. »Wie heißt du?«
»Fleur.« Eine seiner Augenbrauen hob sich. Floortjes Wangen glühten unter seinem scharfen Blick. »Floortje«, verbesserte sie sich hauchend.
»Floortje«, wiederholte er, in einem sanften Tonfall, der etwas in ihr zum Schwingen brachte. »Mein Holländisch ist sehr schlecht, aber für mich klingt das wie kleine Blume . Passt zu dir.« An der Vordertür klopfte es, und er ging durch den kleinen Salon darauf zu. »Jetzt essen wir erst mal was«, rief er über die Schulter hinweg. »Und dann erzählst du mir von dir. Du Blümchen .«
Floortje schwieg jedoch, während sie an dem Tisch im vorderen Raum saß, die nackten Füße um die Stuhlbeine gewunden wie ein unsicheres kleines Mädchen; sie fürchtete, keinen Bissen herunterzubekommen oder gar in eine Flut von Tränen auszubrechen, umriss sie auch nur mit ein paar Worten die Last aus Scham und Schmutz, die sie mit sich herumtrug. Als könnte sie von dem Strudel aus fremden Männern und Geschlechtlichkeit, Ekel und Demütigung, zu dem ihr Leben geworden war, davongespült werden. Und dass er auf Deutsch mit ihr sprach, das sie zwar gelernt, aber wenig geübt hatte, hemmte ihre Zunge noch mehr. Stumm pickte sie zaghaft an dem zartflockigen Rührei herum und ließ jeden Bissen davon langsam im Mund zergehen. Zwischendurch knabberte sie an ihrem gebutterten Toast mit Räucherlachs, den Holtum genauso dazu bestellt hatte wie kaltes Roastbeef, Stücke von Fisch in einer aromatisch-fruchtigen, scharfen Sauce und ein buntes Gemüsecurry. Während er selbst kräftig zulangte und seinerseits Floortje eindringlich musterte, sah sie auch über den Tisch hinweg immer wieder verstohlen zu ihm hin.
Sie könnte fast seine Tochter sein, hatte er gesagt; dabei hatte er so gar nichts Väterliches an sich. Er wirkte wie einer jener Männer, die überall und nirgends zu Hause waren, weil sie alles, was sie brauchten, stets bei sich trugen. Wie ein Fels in der Brandung schien er fest in sich zu ruhen, als brächte ihn niemals etwas aus dem Gleichgewicht. Ein Monolith, der allein herumstand, aber nicht einsam war, weil sich selbst genug. Und gleichzeitig bewegte er sich mit der überbordenden, eleganten Kraft eines wilden Pferdes, das zwar am Zaumzeug ging, aber jeden Augenblick ausbrechen konnte. Eine unverfälschte, wuchtige Vitalität umgab ihn, die eine große Anziehungskraft besaß.
»Wo kommst du her?«, wollte er kauend wissen, als er seinen Teller fast geleert hatte.
»Aus Friesland«, antwortete Floortje und biss von ihrem Toast ab.
»Friesland«, wiederholte er langsam, und seine blauen Augen strahlten auf. »Wo genau?«
Floortje schlug die Augen nieder und nagte weiter an ihrem Toast herum.
»Musst mir nicht verraten«, sagte er ruhig. »Wirst schon deine Gründe haben. Ich bin aus Halderslev. Oder Haldersleben. Dänisch, schleswigsch, preußisch – such dir was aus, trifft nämlich alles drei zu.« Er legte das Besteck beiseite, wischte sich den Mund mit der Serviette ab und lehnte sich breitbeinig zurück, die Hände auf die Oberschenkel gestützt. »Was fang ich jetzt die restliche Nacht mit dir an?«
Unter seinem fragenden Blick rutschte Floortje unruhig auf ihrem Stuhl herum, bis er sich an der Stirn kratzte und aufstand.
Kauend folgte Floortje ihm mit Blicken, wie er ins Schlafzimmer ging, in einem Koffer herumkramte und die Hände voller bunter Gummibälle zurückkam. Noch während er einen Schritt vor den anderen setzte, warf er sie nacheinander in die Luft und begann damit zu jonglieren; die zwei fehlenden Finger schienen ihn dabei nicht zu behindern. Bewundernd sah Floortje ihm zu, wie er geschmeidig zwischen Standbein und Spielbein hin und her pendelte und sich mit erstaunlich behutsamen Schrittchen seiner großen, kräftigen Füße ausbalancierte. Wie seine Augen mal die Bälle verfolgten, mal auf ihr, Floortje, ruhten und wie sich die Muskeln unter seinen Hosen und unter seinem Hemd anspannten und wieder lockerten.
Von selbst lösten sich ihre Füße von den Stuhlbeinen; sie rutschte auf der
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