Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Schmunzeln tauchte kurz auf seinen harten Zügen auf. »Mir geht’s mehr um mich. Ich bin nämlich auch nur ein Mann.«
Ein verwirrtes Lächeln zuckte um Floortjes Mund. Sie nahm das Hemd, streifte es sich über und schloss die obersten Knöpfe, bevor sie die Ärmel aufkrempelte, die ihr viel zu lang waren, so wie das ganze Hemd sich zeltartig um sie bauschte; frisch roch es, nach Wasser und Seife und Wäschestärke. »Danke«, sagte sie, als er ihr mit der bloßen Rechten das eine Glas reichte. Eine kräftige, sehnige Hand war es; drei der Finger wiesen eine leichte Krümmung auf, als wären sie einmal gebrochen gewesen, und kleine Narben maserten die Haut auf dem Handrücken. Verstohlen musterte sie seine Linke, die in dem schwarzen Lederhandschuh steckte.
»Ein Missgeschick«, erklärte er auf ihren Blick hin. »Während ich die Nummer mit den Kanonenkugeln entwickelte. Seither fehlen mir zwei Finger. Im Handschuh sind sie ausgestopft. So glotzen die Leute zwar auch, aber nicht halb so neugierig, wie wenn sie eine verstümmelte Hand sehen.«
»Entschuldigung«, murmelte Floortje betreten und trank einen Schluck; mandelähnlich schmeckte das Getränk, mit einer herben Süße. Sie folgte ihm mit ihren Augen, während er sich auf der linken Seite des Betts niederließ und sich die Schuhe auszog. Das Hemd spannte sich über seinem breiten Kreuz, und bei jeder seiner Bewegungen zeichneten sich seine Muskeln unter dem dünnen Stoff ab. Aus der Nähe wirkte er älter; die mehrfachen Längskerben beiderseits seiner Mundwinkel und die Strahlenkränze unter seinen Augen ließen Floortje ihn auf wenigstens Ende dreißig schätzen. An seinem Gesicht war nichts fein oder sanft, die Züge wie von einem Bildhauer mit hastigen Schlägen aus hellem, warmtonigen Sandstein herausgemeißelt und die poröse Oberfläche dann nicht mehr abgeschliffen oder gar poliert.
»Wollen Sie denn nicht …«, begann sie zaghaft. »Ich meine … mich …«
Er warf ihr einen kurzen Seitenblick zu und schleuderte erst einen, dann den anderen Schuh in die Ecke, streifte sich die Socken ab und pfefferte sie hinterher. »Wollen würd ich schon. Wie gesagt, ich bin auch nur ein Mann. Und du bist ein verdammt hübsches Ding.« Ächzend streckte er sich am Kopfende in eine halb sitzende Stellung aus, stopfte sich ein Kopfkissen in den Rücken und nahm sein Glas zur Hand. »Aber du bist ganz offensichtlich nicht freiwillig hier, und die Angst in deinen Augen weckt nicht gerade meine Lust.« Er machte eine kleine Pause, in der er seinen Blick forschend auf Floortje ruhen ließ und an seinem Glas nippte, bevor er hinzusetzte: »Abgesehen davon könntest du meine Tochter sein. Wie alt bist du – siebzehn?«
Heute war der vierte August; übermorgen war ihr Geburtstag. Ihren neunzehnten vergangenes Jahr hatte sie mit Edu im Cavadino gefeiert. Sie erinnerte sich an den Lichterglanz und die Musik, an das gute Essen und an den vielen Champagner. An das herrliche, berauschende Gefühl, jung, schön und begehrenswert zu sein, und wie sie in der Gewissheit geschwelgt hatte, dass ihr in Batavia alle Türen offen standen.
»Zwanzig«, wisperte sie beklommen. Wie eine Lüge klang es in ihren Ohren, sie fühlte sich vorzeitig gealtert und zerschlissen wie ein zu oft getragenes Kleidungsstück.
»Sag ich doch. Ich bin fast doppelt so alt wie du.« Prüfend sah er sie über den Rand seines Glases hinweg an. »War das vorhin dein Zuhälter?«
Floortje schüttelte den Kopf. »Nein. Das heißt …« Sie wandte sich ab und trank rasch einen Schluck; Tränen tropften ihr aus den Augen bei dem Gedanken, Kian Gie würde sie vielleicht künftig an andere Männer weiterverkaufen. »Bis heute war er es nicht.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die nassen Wangen und spürte die blauen Augen von John Holtum in ihrem Rücken.
»Wie gerät ein Mädchen wie du an so einen Widerling?«
Floortje hob müde die Schultern und ließ sie wieder fallen. »Lange Geschichte.«
»Magst du sie mir erzählen? – Hast du eigentlich Hunger?«
Verwirrt sah Floortje ihn an, deutete erst ein Kopfschütteln und gleich darauf ein Nicken an und hob dann erneut hilflos die Schultern. »Rührei hatte ich schon lange nicht mehr«, entfuhr es ihr flüsternd. Rührei hatte etwas Beruhigendes, Tröstliches, als kleines Mädchen hatte sie es immer bekommen, wenn sie krank gewesen war.
Holtum nickte bedächtig, die Mundwinkel unter seinem Bart nachdenklich herabgezogen. »Rührei. Dazu
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