Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
an, dass sie verlegen die Lider niederschlug.
»Du, Mama«, mischte sich Jeroen ein und drückte sich an seine Mutter. »Weißt du, was ich kann? Ich kann schon bis zwanzig zählen. Auf Holländisch!«
»Das ist großartig, mein Schatz.« Margaretha de Jong strich ihm über den Kopf. Sie sah Jan Molenaar an. »Es ist unglaublich, was unsere noni Bina in der kurzen Zeit vollbracht hat. Wir sind sehr, sehr glücklich, dass sie bei uns ist.« Jacobina errötete vor Freude.
»Das glaube ich sofort«, sagte Jan Molenaar, ohne die Augen von Jacobina abzuwenden, und die Röte auf ihren Wangen vertiefte sich. Unbeholfen strich sie sich mit einer Hand die Strähnen aus dem Gesicht, die sich aus ihrem schlichten Haarknoten gelöst hatten. Dank einer von Endahs Tinkturen war es nicht mehr so strohig wie früher, sondern weich und glänzend und duftete herrlich nach Zitrone, hatte sich aber dadurch auch in der Sonne aufgehellt und schimmerte fast silberblond.
»Soll ich’s dir zeigen?«, drängelte Jeroen seine Mutter. »Eins, zwei …«
»Später, mein Herz. Jetzt müssen wir erst sehen, dass Onkel Jan etwas zu essen und vor allem zu trinken bekommt. Es ist ein weiter Weg von Buitenzorg hierher, weißt du?«
»Jaaaa, weiß ich doch«, kam es mit einem Schnaufen von dem Jungen; er zog eine enttäuschte Miene, schlenkerte gelangweilt ein Bein vor und zurück und murmelte etwas auf Malaiisch in sich hinein.
Jan Molenaar bedeutete Jacobina mit einer Kopfbewegung und einem fragenden Gesichtsausdruck, ob er ihr Ida übergeben könnte. Sie nickte, und als sie ihm das kleine Mädchen abnahm und Jans und ihre Hände und Arme einander dabei streiften, durchwanderte sie ein Kribbeln und sammelte sich in ihrem Bauch.
»Bis später, kleine Maus«, flüsterte er Ida zu und beugte sich vor, um ihr ein Küsschen auf die Wange zu drücken, sah dabei aber Jacobina in die Augen. »Ihnen einen schönen Tag, noni Bina«, fügte er mit einem Lächeln hinzu.
Jacobina brachte keinen Ton heraus. Das kleine Mädchen auf ihrer Hüfte, sah sie zu, wie Jan Molenaar Jeroen erst gegen die Schulter knuffte, dann über den Kopf rubbelte, dass der Junge quietschte und sich mit einem Boxhieb zu revanchieren versuchte, der aber ins Leere traf, und lachend ging Jan Molenaar mit Frau de Jong davon.
Erst als Jeroen an ihrem Sarong zupfte, löste sich Jacobinas Erstarrung. »Was machen wir jetzt?« Gespannt sah er sie von unten herauf an.
»Jetzt?« Jacobina überlegte. »Ja, also jetzt …«
Ihr Kopf war wie leergefegt.
Jacobina fand keinen Schlaf. Sobald sie die Lider schloss, sah sie Jan Molenaar vor sich. Sein freundliches Gesicht, seine Augen, die zurückhaltend und doch neugierig auf ihr ruhten, und jedes Mal aufs Neue kam ihr dann in den Sinn, welch unmöglichen Anblick sie geboten hatte, und Scham wand sich glühend durch sie hindurch.
»Du bist eine Närrin, Jacobina von der Beek«, schimpfte sie leise mit sich selbst, während sie sich halb aufsetzte, ihre Kissen aufschüttelte und sich mit entschiedenen Bewegungen wieder zurechtlegte. Eine Närrin, jawohl. Und eine versponnene alte Jungfer. Die schon aus dem Häuschen gerät, wenn ein Mann nur mal freundlich zu ihr ist. Entschlossen kniff sie die Augen zu und zwang sich, ruhig zu atmen. Ihnen einen schönen Tag, noni Bina , flüsterte seine Stimme ihr zu.
Sie wälzte sich auf die andere Seite, als könnte sie damit den Gedanken an Jan Molenaar ebenfalls den Rücken zukehren, und die Nacht im Grand Oriental in Colombo fiel ihr ein. Wie es Floortje wohl ging? Die ersten Tage und Wochen hier am Koningsplein hatte Jacobina kaum an sie gedacht; zu viele neue Eindrücke waren auf sie eingestürmt, und zu sehr war sie davon in Anspruch genommen, sich einzuleben, sich mit den Kindern vertraut zu machen und täglich neue Aufgaben und Spiele für sie zu ersinnen. Die Zeit schien in den Tropen schneller zu verfliegen als im Rest der Welt, obwohl es hier so viel geruhsamer zuging, geradezu träge. Einteilungen wie Wochentage oder Monatsnamen schienen keine Bedeutung zu besitzen, als verschwämmen solche von Menschenhand entworfene Raster in der feuchten Hitze der Tage und Nächte.
Erst seit Kurzem dachte sie wieder häufiger an Floortje, und mehrfach hatte sie schon einen Briefbogen in die Hand genommen, um ihr ins Hotel Des Indes zu schreiben, es dann aber doch nicht gewagt und das Blatt wieder in der Schublade ihres Sekretärs verstaut. Was, wenn Floortje es nicht ehrlich gemeint hatte damit, dass
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