Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
sie Freundinnen sein könnten? Wenn es nur eine Laune gewesen war, nicht mehr als eine flüchtige Bekanntschaft, die auf dem begrenzten Raum und in der Langeweile an Bord nach mehr ausgesehen hatte und längst verflogen war? Im Nachhinein schien es ihr zu schön, um wahr zu sein, dass ausgerechnet die hübsche Floortje, die so offen auf Menschen zuging und sie so leicht um den Finger wickeln konnte, mit ihr hatte befreundet sein wollen. Wahrscheinlich hatte sie inzwischen schon genug andere Freundschaften geschlossen und Jacobina längst vergessen. Dennoch fehlten ihr Floortjes quirlige Art und die Lebenslust, die sie versprühte. Und fast noch mehr vermisste sie die ruhigen, ernsthaften Momente, in denen sie einander so nahe gewesen waren.
Jacobina ertappte sich dabei, wie sie vor sich hin starrte, und seufzte unwillig. Es hatte keinen Sinn, sie musste sich auf andere Gedanken bringen. Sie drehte sich um und zerrte das Moskitonetz beiseite, um die Lampe auf ihrem Nachttisch zu entzünden und zu ihrem Buch zu greifen. Mit gerunzelter Stirn suchte sie den Lichtkreis, den die Lampe auszirkelte, nach dem ledergebundenen Band ab. Jacobina beugte sich aus dem Bett heraus und tastete unter dem Nachttisch herum, aber das Buch blieb verschwunden. Wann hatte sie zuletzt darin gelesen? Gestern? Nein, heute – aber nicht hier auf ihrem Zimmer. Auf der Veranda hatte sie im Schein einer Lampe gesessen, an ihrem Lieblingsplatz auf der Schmalseite des Hauses, an dem sie ihre Mahlzeiten serviert bekam und an dem sie den Trubel auf der großen Veranda, auf der die de Jongs ihre Gäste zu bewirten pflegten, nur als ein Murmeln und ein Summen mitbekam, das in den Geräuschen der Nacht aufging. Irgendwann hatte sie das Buch beiseitegelegt und hatte zu den Bäumen hinübergeschaut, die sie auch von ihrem Fenster oben sah. Und umflutet von den Klängen und moosigen Gerüchen des tropischen Abends hatte sie das Buch schlichtweg vergessen.
Seufzend ließ sie sich ins Kissen zurückfallen. Einen Augenblick lang war sie versucht, die Klingel zu betätigen und ein Dienstmädchen mit der Suche nach dem Buch zu beauftragen, aber das kam ihr albern vor. Mit einem weiteren Seufzer tauchte sie unter der Kante des Moskitonetzes hindurch und stieg aus dem Bett. Ihrer alten Gewohnheit nach streifte sie den dünnen Morgenrock über, den sie aus Amsterdam mitgebracht hatte, und schlüpfte aus ihrem Zimmer. Vor der gegenüberliegenden Tür blieb sie kurz stehen, lauschte und lächelte, als sie den schlafschweren Atem der Kinder hörte, und huschte dann den Korridor entlang, die Treppe hinunter.
Die de Jongs waren nach dem Dinner ausgegangen, trotzdem waren die Eingangshalle und der Salon ebenso erhellt wie die Veranda. Das gehörte hier zum guten Ton; wer etwas auf sich hielt, beließ das Haus bis in die frühen Morgenstunden hinein beleuchtet, solange auch nur ein einziges Familienmitglied unter dem Dach weilte, und seien es nur die Kinder, die im Beisein ihrer babu selig schliefen.
Auf bloßen Füßen tappte sie durch den kleinen Salon, in dem das hoffnungslos verstimmte Piano stand, und trat auf die Veranda hinaus. Sie blickte sich suchend um und schrak mit einem erstickten Laut zusammen.
»Verzeihung.« Jan Molenaar erhob sich langsam von seinem Stuhl. »Ich hoffe, ich habe Sie nicht allzu sehr erschreckt.«
Jacobina raffte ihren Morgenrock vor der Brust zusammen. »Ich … ich dachte nur, ich sei allein im Haus.« Ihr fiel ein, wie merkwürdig das klang angesichts der Anzahl der Dienstboten, die auch die Nacht hier im Haus verbrachten. »Ich dachte, Sie wären mit Frau de Jong und dem Herrn Major ausgegangen.«
Er schmunzelte. »Ich mache mir nicht viel aus diesem gesellschaftlichen Ringelreihen.«
Ein kleines Lächeln erhellte Jacobinas Gesicht. »Ich auch nicht.« Sie zögerte und wandte sich dann zum Gehen. »Gute Nacht, Herr Molenaar.«
»Ist das Ihres?« Im Lampenschein sah sie, dass er ein Buch hochhielt, einen Finger als Lesezeichen zwischen den Seiten.
»Ich … ich glaube ja. – Deshalb bin ich eigentlich heruntergekommen«, sagte sie hastig; sie wollte nicht, dass er womöglich auf die Idee kam, sie sei seinetwegen hier. Sie trat näher und streckte die freie Hand danach aus.
Er musterte das Buch mit gerunzelter Stirn, als sähe er es zum ersten Mal. »Flaubert. Eine ungewöhnliche Lektüre für eine junge Dame. Noch dazu für eine junge Dame in Batavia.«
Jacobinas Brauen zogen sich zusammen. »Und weshalb?«
Mit dem Buch
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