Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
ungelenk über den Kopf zu streicheln, während ihre andere Hand dasselbe bei Ida tat, und sie begann zu summen, irgendeine unsinnige Melodie, von der sie hoffte, dass sie beruhigend wirkte, während Blitz und Donner immer näher kamen.
Die Atemzüge der Kinder wurden ruhiger und gleichmäßiger; Jacobina jedoch lag hellwach da und konnte nicht anders, als in der Stille zwischen den Donnerschlägen auf die Geräusche von schräg gegenüber zu lauschen. Sie glaubte ein Weinen zu hören, ein gedämpftes Knurren, dann leises Aufjammern und schließlich ein mal abwechselndes, mal gleichzeitiges Stöhnen, hoch und tief, erst langgezogen, sich dann zu einem Staccato steigernd; Geräusche, die ihr unbekannt waren, die sie nicht einzuordnen wusste und die ihr dennoch die Schamesröte ins Gesicht trieben.
Erleichtert atmete sie auf, als sich die Schleusen des Himmels öffneten und der Regen in Sturzbächen herabrauschte, auf das Dach trommelte und bis auf das Dröhnen und Poltern des Donners alle Geräusche dieser Nacht verschluckte.
Jacobina fühlte sich wie gerädert, als sie zur Frühstückszeit die Treppe hinunterging. Erstickend heiß war es zu dritt im Bett gewesen, und erst gegen Morgen war sie eingenickt, in Schweiß gebadet und angespannt, weil sie fürchtete, im Schlaf einem der Kinder wehzutun oder es gar zu erdrücken. Ein Mal war sie aufgeschreckt, weil Ida im Traum gejammert, und ein anderes Mal, als Jeroen sie im Schlaf getreten hatte. Im Halbschlaf hatte sie wahrgenommen, wie Melati in der Frühe die Kinder unter zärtlichen Lauten weckte und aus dem Zimmer brachte, aber die kurze Zeitspanne, die ihr danach noch zum Schlafen geblieben war, war nicht sonderlich erholsam gewesen. Ihre Augäpfel brannten unter den schweren Lidern, ihr Kopf schien mit Watte gefüllt, und die Stelle an ihrem Oberschenkel, an der Jeroen sie getroffen hatte, pochte schmerzhaft bei jedem Schritt.
Sie unterdrückte ein Gähnen, als sie durch die Halle schlich, und blieb dann unvermittelt stehen. Neben einer der Säulen, aber mitnichten dahinter verborgen, standen Herr und Frau de Jong eng umschlungen und küssten sich. Die Arme um den Hals ihres Mannes gelegt, presste sich Frau de Jong eng an ihn, und während seine eine Hand ihren Nacken umfasst hielt, gruben sich die Finger der anderen in die Rundung ihres Hinterteils. Jacobina schoss das Blut ins Gesicht; hastig sah sie weg und schaute sich stattdessen hektisch nach einem Schlupfwinkel um, in den sie sich unbemerkt flüchten konnte, aber der Major hatte sie bereits entdeckt.
»Guten Morgen, Fräulein van der Beek«, donnerte er ihr entgegen, und seine Stimme wurde vervielfacht von den Wänden und der hohen Decke der Halle zurückgeworfen.
»Huch.« Margaretha de Jong schlug eine Hand vor den Mund und kicherte dahinter wie ein Schulmädchen. »Guten Morgen, liebe noni Bina!« Mit glänzenden Augen schmiegte sie ihre Wange an die Brust ihres Mannes.
»Guten Morgen, Frau de Jong«, murmelte Jacobina. »Guten Morgen, Herr Major.« Mit gesenktem Kopf huschte sie schnell weiter, um nicht länger Zeuge dieser intimen Szene sein zu müssen.
»Ich hoffe, Sie hatten eine angenehme Nachtruhe!«, rief der Major, als sie vorbeiging.
Etwas in seiner Stimme und an der Wahl seiner Worte ließ sie aus den Augenwinkeln zu ihm hinschielen. In seinen rotgeäderten, dunkel umschatteten Augen funkelte es, und Jacobina beschlich das unangenehme Gefühl, dass es ihm nicht nur bewusst war, dass sie heute Nacht alles mit angehört hatte, er genoss es sogar.
»Ja, danke«, log Jacobina und schluckte das sarkastische Sie hoffentlich auch hinunter, das ihr auf der Zunge brannte. Mit gestrafften Schultern ging sie schnell weiter, und während sie hinter sich Frau de Jong schnurren hörte, spürte sie, wie ihr die Augen des Majors folgten und sich in ihren Rücken bohrten.
16
Buitenzorg, den 27. November 1882
Liebe Jacobina,
Ihre Briefe sind für mich Lichtblicke in diesen Wochen, in denen der Himmel grau und schwer über den Bergen hängt und in denen es beinahe ununterbrochen regnet. Jeder einzelne Brief ist ein von mir zwar erhofftes, aber unerwartetes Geschenk, und ich trage sie im Geiste stets bei mir, wenn ich mit meinem Karren über die schlammigen Feldwege rumple, um den Kranken in der Umgebung mit meiner bescheiden ausgestatteten Medizintasche und meinen gleichfalls bescheidenen Kenntnissen zur Seite zu stehen, wenn ich Sterbenden und ihren Angehörigen Trost zu spenden versuche und die
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