Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
entdecken, was dem Jungen Angst eingejagt haben könnte. Die Veranda lag beinahe genauso verlassen da wie zuvor, nur dass jetzt Margaretha de Jong mit verschränkten Armen dort stand und zu ihr herübersah. Seufzend erhob sich Jacobina und ging zurück zum Haus.
»Guten Tag, Frau de Jong«, sagte sie, als sie die Stufen hinaufging, und zeigte auf die Stelle, an der eben noch der Junge gestanden hatte. »Wissen Sie zufällig, wohin der Kleine …«
»Ich möchte Sie bitten, das künftig zu unterlassen«, fiel ihr Margaretha de Jong mit einer Bestimmtheit ins Wort, die angestrengt wirkte. Über ihrer Nasenwurzel zeichnete sich eine tiefe Furche ab, und ihre Augen blitzten vor mühsam zurückgehaltenem Zorn. »Wenn sich das in den Kampongs herumspricht, dass Sie hier Süßigkeiten verteilen, werden wir uns vor bettelnden Kindern nicht mehr retten können. Wir haben so schon alle Mühe, diese kleinen Malaien von unserem Grundstück fernzuhalten.«
»Aber ich wollte doch nur …«
»Diese Kinder sind schmutzig, sie stecken voller Ungeziefer und Keime! Die können alle möglichen Krankheiten hier einschleppen und Jeroen und Ida damit anstecken!« Mit einer grellen Schärfe setzte sie hinzu: »Waschen Sie bitte umgehend Ihre Hände, Fräulein van der Beek. Gründlich.«
»Ja, Frau de Jong«, murmelte Jacobina verwundert. Der kleine Junge hatte zwar ärmlich, aber durchaus sauber und gesund ausgesehen.
Margaretha de Jong nickte ihr zu und wandte sich zum Gehen, hielt dann aber inne. »Ach, und könnten Sie bitte darauf achten, dass die Kinder sich heute Nachmittag besonders leise verhalten?« Mit abgespreiztem Daumen und Zeigefinger massierte sie sich die Stirn, als litte sie an Kopfschmerzen. »Jetzt, in der Regenzeit, machen meinem Mann seine alten Verwundungen und sein Rheumatismus zu schaffen. Er braucht dann vor allem Ruhe. – Ich wäre Ihnen sehr dankbar, wenn Sie dafür sorgen könnten, noni Bina«, fügte sie flüsternd hinzu und ging ins Haus.
Betreten sah Jacobina zu den Bäumen hinüber, zwischen denen der kleine Junge verschwunden war, und ein ungutes Gefühl machte sich in ihr breit, das sie nicht näher zu benennen wusste.
17
Der Wagen rollte die scheinbar endlose, einförmige Häuserzeile auf der rechten Seite der Rijswijkstraat entlang. Nachdem sich der Regen am frühen Nachmittag zu einem feinen Nieseln ausgedünnt hatte, prasselte er jetzt wieder kräftiger auf das Verdeck des Wagens, und hinter den Rädern spritzte der Schlamm der Straße orangerot wie Karottenmus auf.
Der Fahrer lenkte den Wagen so dicht an das Trottoir, dass die Räder nur um Haaresbreite an der Kante vorbeischrammten, und hielt vor einer breiten, einstöckigen Ladenfront. Sogleich schwangen die gläsernen Flügeltüren am Eingang nach innen auf; zwei einheimische Bedienstete hasteten heraus und spannten Regenschirme auf, um die vorgefahrene Kundschaft trocken über die Schwelle zu bringen.
Floortje bedankte sich mit einem strahlenden Lächeln bei dem Bediensteten, der ihr aus dem Wagen half, und während der zweite Jacobina die Hand reichte, spähte sie unter dem Regenschirm zur Aufschrift über den Fenstern links vom Eingang hinauf. Es ließ sie jedes Mal aufs Neue schmunzeln, dass dort »scheeps beschuit« zu lesen war, Schiffszwieback , und darunter »provisien«, Proviant. Was sich beides zwar bestimmt auch bei Leroux & Co. erwerben ließ, aber ein falsches Bild dessen vermittelte, was einen im Inneren des Ladens tatsächlich erwartete.
Der Duft von frischgebackenem Brot und dampfendem Kaffee und Tee schlug ihnen entgegen; ein süßer Hauch lag in der Luft, von Zucker und Früchten, und die Aromen von Vanille und Rum, von gemahlenen Mandeln, Nüssen und Zimt hüllten sie verlockend ein.
» Bonjour , Mesdemoiselles.« Mit vergnügtem Augenzwinkern begrüßte sie einer der beiden Herren Leroux, die die vielleicht berühmteste Bäckerei und Patisserie Batavias von ihrem Vater übernommen hatten. Eine gerahmte Daguerrotypie an der Wand, die Sepiatöne unter dem angelaufenen Glas fleckig vor Feuchtigkeit, die vor der Fassade von Leroux & Co Inhaber und Angestellte zeigte, ließ erkennen, wie wenig sich das Äußere der traditionsreichen Konditorei in den vergangenen Jahrzehnten verändert hatte und dass die beiden Söhne Leroux ihren Schnurrbart in derselben geschwungenen und pomadierten Manier trugen wie der Unternehmensgründer.
»Ich fürchte, ich kann mich heute wieder nicht entscheiden«, murmelte Floortje, den
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