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Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)

Titel: Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Nicole C. Vosseler
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Gottesdienste vorbereite. Und wenn ich mich bemühe, den Kindern hier das Abc und das Einmaleins beizubringen – was manchmal die Kräfte eines Herkules und die Geduld eines Engels erfordert –, sehe ich oft Jeroen und Ida vor mir, und dann ist auch der Gedanke an Sie nie weit. Ich gebe gerne zu, dass es zu meiner liebsten Beschäftigung geworden ist, am späten Abend im Lampenschein auf der Veranda zu sitzen und Ihnen zu schreiben.
    Auch mir ist unser Tag in Glodok noch in lebhafter Erinnerung, und es bedeutet mir viel, dass er Sie offenbar immer noch beschäftigt. Ihre Frage, wie ich trotzdem in meinem Glauben an Gott verhaftet sein kann, empfinde ich keineswegs als töricht oder gar anmaßend, im Gegenteil! Denn es ist gerade die ungeschönte Wirklichkeit, an der sich der Glaube messen lassen muss, und bei der Frage nach Gott angesichts allen menschlichen Leids und aller menschlichen Willkür beginnt für mich erst der Weg zu einem Glauben, der wahrhaftig ist und echt.
    Ich sehe uns Menschen nicht als Marionetten in der Hand eines mal gütigen, mal zornigen, aber immer ungerechten Puppenspielers, den wir Gott nennen. Ich glaube an den freien Willen des Menschen, der sich jederzeit für Gut oder Böse, für das Richtige oder das Falsche entscheiden kann. Wer andere knechtet und verletzt, wer betrügt, stiehlt, quält oder gar tötet, entscheidet sich aus freiem Willen für das Böse; genauso gut könnte er sich in jedem einzelnen Moment dagegen entscheiden. Nichtsdestotrotz bin ich mir dessen bewusst, dass wir Menschen alles andere als vollkommen sind. Wir machen Fehler, manchmal glauben wir, keine andere Wahl zu haben, als uns für das Böse zu entscheiden, oder sind einfach blind für das, was richtig ist und was falsch. Davor ist niemand gefeit, nicht einmal ein Mann der Kirche. Niemand ist ohne Sünde, genauso wie keiner von uns nicht auch die Fähigkeit zum Guten in sich trägt. Am Ende bleibt uns ohnehin nur, die Vergebung durch Gott zu erlangen, und das Vertrauen auf seine Gnade.
    Ich wollte nie einer dieser Kirchenmänner sein, die bei jeder Gelegenheit einen Vers der Heiligen Schrift zitieren, und keiner, der dem Zweifler, dem Ungläubigen und dem Kritiker selbige Heilige Schrift um die Ohren schlägt. Das liegt mir nicht, und so verstehe ich auch das Christentum nicht. Das Bewusstsein für Gut und Böse anhand der Bibel zu schärfen – darin verstehe ich meine Aufgabe als Missionar, dafür bin ich nach Java gekommen. Zu einer Missionsgesellschaft, die lieber überzeugt als überredet. Die andere Religionen respektiert, Bekehrungen unter Zwang verabscheut und lieber Taten statt reiner Worte sprechen lässt. Und um vielleicht mein Scherflein dazu beizutragen, dass diese Welt ein klein wenig besser wird.
    Was hat Sie hierhergeführt, Jacobina? Warum von allen Orten dieser Welt ausgerechnet Java? Glauben Sie an göttliche Fügung, an das, was man gemeinhin Schicksal nennt?
    In gespannter Erwartung Ihrer Antwort grüßt Sie
    Jan
    Ein Lächeln auf dem Gesicht und ein sehnsüchtiges Ziehen in der Brust, faltete Jacobina den Brief zusammen und schob ihn unter den Rand der Untertasse. Auch für sie waren Jans Briefe wie Sonnenstrahlen, die die trüben Tage der Regenzeit erhellten, und wie er liebte sie es, mittags an ihrem Platz auf der Veranda oder spätabends am Sekretär in ihrem Zimmer einen Brief an ihn zu verfassen. Eine neue Welt hatte sich mit diesen Briefen für sie aufgetan, in der sie sich langsam dazu vortastete, das aufzuschreiben, was ihr an Gedanken, an Empfindungen und Überlegungen durch den Kopf ging. Es machte ihr Mut, dass Jan nichts davon als unsinnig oder nebensächlich abtat, sondern sie vielmehr zum Denken aufforderte und sie ernst nahm.
    Mit dem Ärmel wischte Jacobina sich über die schweißnasse Stirn und fächelte sich verstohlen Luft unter ihre Kebaya, während sie in den Garten hinaussah.
    Dampfschwaden stiegen aus dem Rasen auf, die Überreste des nächtlichen Regengusses, die in der Hitze des Tages verdunsteten und als Nebelschleier über die blühenden Sträucher hinwegglitten. Eisengrau lastete der Himmel auf den Wipfeln der Bäume und kündigte den nächsten kräftigen Schauer an, der nur für kurze Zeit ein wenig Abkühlung, mit etwas Glück sogar die eine oder andere Brise bringen würde. Eine träge Stille lag über dem Garten; kein Vogel gab einen Laut von sich, und sogar die sonst so mitteilsamen Zikaden waren verstummt, während im Haus die Mittagsruhe herrschte; eine

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