Das Herz der Feuerinsel: Roman (German Edition)
Welt gebracht haben, während sie sich schon um den nur wenige Monate alten Jeroen gekümmert hatte. Eine Arbeit, die sie zweifellos rund um die Uhr beschäftigt hielt, da sie sogar über Nacht bei den Kindern blieb, und Jacobina schloss daraus, dass Melati ihren Sohn deshalb kaum je zu Gesicht bekam. Ihr fiel jene Gewitternacht ein, in der die de Jongs den ersten heftigen Streit gehabt hatten, den Jacobina mitbekam; jene Nacht, in der die Kinder bei ihr geschlafen hatten. Vielleicht war Melati in dieser Nacht bei ihrem Sohn gewesen, vielleicht war er krank gewesen.
»Lebt in Kampong«, sagte Melati nun, ließ den Ellenbogen ihres Sohnes los und strich ihm über den Kopf, bevor sie ihn bei der Hand nahm. »Bei Familie.« Schluchzend drückte der Junge die Wange gegen die Hüfte seiner Mutter und sah Jacobina aus tränennassen Augen an.
Jacobina nickte, und sie schlang die Arme fester um sich. Es bedrückte sie, dass sie so gar nichts über Melati wusste. Ein paar Mal hatte sie versucht, mit einer Mischung aus Holländisch und den malaiischen Brocken, die sie inzwischen aufgeschnappt hatte, mit ihr ins Gespräch zu kommen. Aber Melati hatte sie immer nur ausdruckslos angesehen, sich verbeugt und war gegangen; vielleicht hätte sie sich mehr Mühe geben sollen, oder sie hatte es falsch angefangen.
»Bei seinem Vater, ja?«, versuchte sie mit einem zaghaften Lächeln den Gesprächsfaden wiederaufzunehmen. Noch während sie sprach, wandte Melati verlegen den Kopf ab, und vor Jacobinas Augen schob sich das Bild, wie der Junge und Jeroen einander gegenübergestanden hatten. Fast ein Spiegelbild des jeweils anderen. Der Boden geriet für einen Augenblick unter ihr ins Wanken, als sie das Gesicht des Jungen genauer betrachtete. Der Schnitt der Augen, die Nase, die Form seines Mundes – er hätte gut und gerne Jeroens Bruder sein können. Ein braunhäutiger Bruder. Sie sah das Gesicht des Majors vor sich, und eine eisige Kälte breitete sich in ihr aus.
Etwas in ihr sträubte sich gegen die Wahrheit, die Melatis Sohn ins Gesicht geschrieben stand; noch hegte sie die schwache Hoffnung, einer Sinnestäuschung erlegen zu sein, die ihr diesen ungeheuerlichen Verdacht einflüsterte. Sie wusste, sie hatte kein Recht, danach zu fragen, und doch konnte sie nicht anders.
» Tuan de Jong?«, brachte sie mühsam hervor. »Ist … ist er der Vater?«
Wie Melati die vollen Lippen zusammenpresste, grimmig und auf eine Art beschämt, und wie sie sich energisch mit dem Handballen über die Augen rieb, als könnte sie damit mehr wegwischen als nur ein paar Tränen, war Antwort genug.
»Warte.« Jacobina machte kehrt, ging in den Salon und kam mit einer Handvoll Kekse zurück. Vor dem Jungen, der verheult und mit hängenden Schultern an Melatis Hand dastand, ging sie in die Knie und hielt ihm einen Keks hin. »Da, der ist für dich.« Das Zittern, das durch Jacobina hindurchlief und das sie kaum unterdrücken konnte, ließ ihre Stimme beben und ungewollt barsch klingen.
Fragend blickte der Junge zu seiner Mutter auf, die Jacobina argwöhnisch ansah und schließlich halbherzig nickte. Mit unsicheren Fingern griff er nach dem Keks und knabberte ihn zögerlich an, die Augen unverwandt auf Jacobina geheftet.
Jacobina sah zu Melati auf. »Wie heißt er?«
»Jagat.«
»Jagat«, murmelte Jacobina und unterdrückte den Drang, die Wange des Jungen zu streicheln, weil sie nicht sicher war, ob das seiner Mutter recht gewesen wäre; sie stand auf und drückte Melati die restlichen Kekse für Jagat in die Hand. Sie musste sich beeilen, jeden Augenblick konnten die Kinder zurück sein. »Bring ihn nach Hause, Melati, und bleib bei ihm. Nyonya besar kommt heute sicher sehr spät und wird bestimmt nicht merken, wenn du nicht da bist. Es reicht, wenn du morgen früh wiederkommst.« Jacobina hatte zwar die Kinder noch nie gebadet und zu Bett gebracht, aber das würde sie schon irgendwie hinbekommen, und sollten sie nach Melati fragen, würde sie sich etwas einfallen lassen.
Melati starrte sie ungläubig an; dann huschte ein Lächeln über ihr Gesicht, das ihr unvermittelt eine jugendliche, fast mädchenhafte Frische verlieh. Sie ließ ihren Sohn kurz los und fasste Jacobina am Unterarm. »Danke, noni Bina. Terima kasih !«
Jacobina sah ihr nach, wie sie mit ihrem Sohn über den Rasen lief und zwischen den Bäumen verschwand, über deren Wipfel bereits der Himmel dräute und einen neuen Regenguss ankündigte. Gerade noch rechtzeitig; hinter ihr
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