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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Gewalttat hineinzuversetzen, diese zu entschlüsseln und auf einem anderen Bewusstseinsniveau zu erfassen.
       Ich stand auf und versuchte mir diese Bruchstücke noch einmal zu vergegenwärtigen. Unmöglich. Jeder Versuch rückte sie in weitere Ferne, genau wie ein Traum, der nach dem Aufwachen in dem Maße verblasst, wie man sein Gedächtnis durchsucht.
       Ich machte kehrt und bahnte mir einen Weg durch Äste und Dornengestrüpp. Der Boden schien unter meinen Schritten nachzugeben. Es war Zeit, die Grenze zu überschreiten.

KAPITEL 38
    Auf einer Tafel vor dem Eingang stand: »Sauerkraut mit Wurst: 20 Franken, Bier umsonst!« Ich drückte die Flügeltüren des Bauernhauses Zidder auf. Das ganz in Holz gehaltene Interieur des Gasthauses erinnerte an einen Schiffsraum. Das gleiche Dämmerlicht, die gleiche Feuchtigkeit. Zu dem Biergeruch gesellten sich der kalte Tabakmuff und der Gestank von ranzigem Sauerkraut. Der Saal war leer. Auf den Tischen stand noch schmutziges Geschirr.
       Die Nachbarn von Richard Moraz hatten mir mitgeteilt, dass dieser jeden Samstag in dieser bayerischen Gaststätte zu Mittag esse. Aber es war schon 15.30 Uhr. Ich kam zu spät.
       Am Ende der Theke saß ein Hüne in einer schmal gestreiften Latzhose und las, einen Krug Bier vor sich, eine Zeitung. Ein richtiger Fleischberg mit tektonischen Falten. Chopard sprach in seinem Artikel von einem »Koloss von über hundert Kilo«. Vielleicht mein Uhrmacher … Er hatte eine Brille auf der Nasenspitze und beugte sich mit einem Kugelschreiber in der Hand über die Zeitung. Fast an jedem Finger trug er einen Siegelring.
       Ich setzte mich ein paar Hocker von ihm entfernt an die Theke und behielt ihn im Auge. Er hatte harte Gesichtszüge, und sein Blick war noch härter. Aber das Gesicht, das von einem Vollbart umrahmt wurde, strahlte eine gewisse Würde aus. Ich war mir auf Anhieb sicher: Moraz. Und ich teilte Chopards Meinung. Wenn man Moraz sah, dachte man sofort: Er muss der Täter sein.
       Ich bestellte einen Kaffee. Ohne von der Zeitung aufzusehen, fragte der Fettwanst den Barkeeper:
       »Kleiner Schwarzer. Sechs Buchstaben.«
       »Mokka?«
       »Sechs Buchstaben!«
       »Espresso.«
       »Vergiss es.«
       Der Ober schob mir eine Tasse hin. Ich sagte:
       »Pygmäe.«
       Der Dicke warf mir über den Rand seiner Brille einen kurzen Blick zu. Er schlug die Augen nieder und sagte dann:
       »Innere Stimme. Acht Buchstaben.«
       Der Typ hinter dem Tresen wagte es wieder:
       »Halluzination …?«
       Ich sagte leise:
       »Gewissen.«
       Er sah mich etwas länger an. Ohne mich aus den Augen zu lassen, versetzte er:
       »Nicht bestelltes Land. Sechs Buchstaben.«
       »Brache«
       Zu Beginn meiner Arbeit bei der Polizei, als ich eine ruhige Kugel geschoben hatte, hatte ich Stunden mit dem Lösen von Kreuzworträtseln verbracht. Der Spieler lachte hämisch:
       »Ein Champion, wie?«
       »Etwas, was Pech bringt. Sechs Buchstaben.«
       »Ominös.«
       Ich legte meinen blauweißroten Dienstausweis auf die Theke:
       »Bullen.«
       »Soll das witzig sein?«
       »Das werden Sie sehen. Sie sind doch Richard Moraz?«
       »Wir sind hier in der Schweiz, mein Kumpel. Deine Karte kannst du dir irgendwo hinstecken.«
       Ich nahm den Ausweis wieder an mich und lächelte ihn so freundlich an, wie ich konnte:
       »Ich werde darüber nachdenken. Inzwischen Antworten auf ein paar Fragen, schnell erledigt, ohne Getue, passt Ihnen das?«
       Moraz trank sein Glas Bier leer, nahm die Brille ab und steckte sie in die Brusttasche seiner Latzhose:
       »Was willst du?«
       »Ich ermittle im Mordfall Sylvie Simonis.«
       »Originell.«
       »Ich glaube, dass es eine Verbindung zwischen diesem Verbrechen und dem an Manon gibt.«
       »Noch origineller.«
       »Deshalb suche ich Sie auf.«
       »Kumpel, so was wie dich hat man ja noch nie gesehen.«
       Der Uhrmacher wandte sich an den Mann hinter der Theke, der die Kaffeemaschine polierte:
       »Noch ein Bier. Dieser Blödsinn macht mich durstig.«
       Ich ignorierte die Beleidigung. Ich hatte mir bereits ein Urteil über den Mann gebildet: eine große Klappe, aggressiv, aber schlauer, als sein ungehobeltes Benehmen vermuten ließ.
       »Vierzehn Jahre später geht man mir wieder mit diesem Zeug auf die Nerven«, fuhr er in entrüstetem Ton fort. »Du kennst doch die

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