Das Herz der Hoelle
Fratze. Ich ließ seinen Arm los, griff nach meiner Tasse und leerte sie in einem Zug:
»Schwarz überblendet. Acht Buchstaben.«
»Dämmerig?«
»Verkohlt. Bis bald, Kumpel.«
KAPITEL 39
Mein erster Ausflug in die Schweiz hinterließ bei mir einen bitteren Nachgeschmack. Nachdem ich die Grenze passiert hatte, fuhr ich Richtung Nordosten, nach Morteau. Bei der Anfahrt auf die Stadt wurde ich von Schildern in Form von Würsten begrüßt. Reizend. Morteau lag eingezwängt in einem engen Tal. Eine Ansammlung opiumbrauner beziehungsweise, um im Ton zu bleiben, wurstfarbiger Dächer.
Patrick Cazeviel arbeitete in einem Jugendheim in der Nähe des Mont Gaudichot, im Süden von Morteau. Ich orientierte mich an meiner Karte und nahm eine Landstraße. Schon bald gab ein Schild nicht nur die Richtung des Freizeitzentrums, sondern auch die Sportarten an, die dort angeboten wurden: Kajakfahren, Klettern, Mountainbiking.
Cazeviel schien mir nicht recht in diesen Rahmen zu passen. Seit dem tragischen Tod von Manon war er mehrerer Einbrüche verdächtigt worden. Ich konnte mir diesen Typ nicht als Animateur vorstellen. Denn diese Wandlung glich eher einer wunderbaren Wiedergeburt als einer erfolgreichen Resozialisierung.
Ich fuhr über einen Schotterweg. Vor mir tauchte ein großes Gebäude aus schwarzen Rundhölzern mit zwei rechtwinklig aneinandergesetzten Trakten auf; es erinnerte an die abgelegenen Farmen der ersten amerikanischen Siedler. Kaum öffnete ich die Wagentür, empfing mich Kindergeschrei. Es war Samstag, und das Freizeitzentrum war vermutlich bis auf den letzten Platz belegt.
Ich drückte die Klinke herunter und trat in einen Speisesaal. Dutzende von Mänteln hingen an der Garderobe. Ein großes Fenster ging auf einen Rasen hinaus, der zu einem See hin abfiel. Etwa vierzig Kinder tobten kreischend herum, als entströme dem Rasen ein berauschendes Gas. Durch eine weitere Tür ging ich nach draußen.
Eine Lebenslust, eine schier unwiderstehliche Freude lag in der Luft. Der graue See, die grünen Bäume, der Duft von frischem Gras, lautes Geschrei … All dies weckte einen verschütteten, vergessenen Teil in mir. Keine Kindheitserinnerung, sondern ein Glücksversprechen, das man immer in sich trägt, ohne es jemals formulieren, ohne es sich auch nur vorstellen zu können. Eine unbewusste Sehnsucht nach dem Paradies.
Eine Stimme riss mich aus meinen Träumereien.
Ein Animateur wollte wissen, was ich hier suchte.
Ich gab mich als ein Freund von Cazeviel aus.
Er deutete auf einen Wald oberhalb des rechten Seitentrakts. Ich ging quer über den Rasen, wich einer Gruppe Fußball spielender Kinder aus und einer anderen Gruppe, die Fangen spielten, und stieß auf einen weiteren Pfad, der sich zu den Tannen hinaufschlängelte.
Am Waldessaum lag ein Gemüsegarten, durch den symmetrische, schwarzerdige Wege führten. Ein Mann war neben einer Schubkarre eifrig zugange. Ich stapfte zwischen Salatköpfen und Tomatensträuchern hindurch zu ihm.
»Patrick Cazeviel?«
Der Mann hob den Kopf. Er kniete mit nacktem Oberkörper auf dem Boden und wühlte mit beiden Händen im Erdreich. Er hatte einen kahlgeschorenen Kopf, ebenmäßige Gesichtszüge, die jedoch etwas leicht Unheimliches hatten. Dieses hübsche Gesicht hatte etwas von einem »Freddy Krueger«, dem Messermörder, der Halbwüchsigen im Schlaf den Bauch aufschlitzte.
»Patrick Cazeviel?«
Er stand wortlos auf. Das, was ich für eine optische Täuschung gehalten hatte, der Schatten von Blättern auf seiner Haut, war real. Märchenhaft real. Sein gesamter Oberkörper war tätowiert. Ineinander verschlungene Zeichnungen überzogen seine Brust und seine Arme. Zwei asiatische Drachen kletterten an seinen Schultern hinauf; ein Adler entfaltete seine Flügel auf seinen Brustmuskeln; eine blauschwarze Schlange wand sich um seine Bauchmuskeln. Er glich einem Schuppentier.
»Der bin ich«, sagte er, während er einen Kopfsalat in seine Schubkarre warf. »Und wer sind Sie?«
»Mein Name ist Mathieu Durey.«
»Kommen Sie aus Besançon?«
»Paris. Mordkommission.«
Er musterte mich ohne die geringste Scheu. Ich dachte an meine äußere Erscheinung. Der flatternde Mantel, der zerknitterte Anzug, die schief sitzende Krawatte. Wir waren typische Vertreter unserer »Metiers«: der Polizist und der Ex-Knacki. Zwei Karikaturen im
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