Das Herz der Hoelle
Informationen ließ sich meine ursprüngliche Hypothese von einem Detektiv nicht mehr aufrechterhalten. An wen überwies Sylvie dreizehn Jahre lang Geld? Wurde sie erpresst?
Spendete sie Geld, um ihr Gewissen zu erleichtern? Ich hatte keine Mittel mehr, um dies herauszufinden.
Letztes Telefonat mit Sarrazin. Ich war nach unserer Vereinbarung bereits einen Tag in Verzug. Der Gendarm hatte mir heute zwei Nachrichten hinterlassen.
»Was hat das zu bedeuten?«, keifte er los. »Du hast einen weiteren Polizisten auf den Fall angesetzt?«
Es war das erste Mal, dass er mich duzte. Ich tat es ihm gleich:
»Wovon redest du?«
»Von den Entomologen. Man hat mir gesagt, dass ein Polizist aus Paris ebenfalls in dieser Frage herumschnüffelt. Vorsicht, Durey. Treib kein falsches Spiel mit mir, sonst …«
Ich unterbrach ihn in seinem Sermon und erklärte ihm, dass einer meiner Stellvertreter in der Tat eine Liste der Insektenkundler im Jura erstellt habe. Diese Nachforschungen seien vor unserer Abmachung in die Wege geleitet worden. Heute hätte ich ihn angewiesen, damit aufzuhören. Sarrazin beruhigte sich.
»Hast du darüber was Neues?«, drängte ich in ihn.
»Nichts. Ich habe wieder von vorn angefangen. Aber ich habe nichts Neues herausgefunden. In der Region gibt es nur Hobbyforscher. Rentner, Studenten. Niemand, der ins Profil passt.«
Sackgasse. Dennoch gingen mir Plinkhs Worte noch immer durch den Kopf: »Er ist da, glauben Sie mir. Ganz in unserer Nähe. Ich spüre seine Gegenwart, seine Heerscharen, irgendwo in unseren Tälern.« Wir müssten weitersuchen.
Sarrazin fragte mich seinerseits nach Neuigkeiten. Ich antwortete ausweichend. Eigentlich wollte ich meine Informationen nicht mit dem Gendarmen teilen. Ein unerklärliches Misstrauen hielt mich zurück. Vielleicht die Gleichung von Chopard: das Gesetz der dreißig Prozent … Ich versprach, ihn am nächsten Tag wieder anzurufen.
Bis zur Abendessenszeit fuhr ich kreuz und quer durch die Stadt. In der Dunkelheit wirkten die Lava-Arterien düster und majestätisch. Gassen öffneten sich wie Spalten im Felsen, ihre Geheimnisse und ihre Schätze offenbarend. Catania, die schwarze Stadt, erwachte im Licht der Straßenlaternen zu vibrierender, glänzender Geschäftigkeit, so wie ein Nachtschwärmer, während andere zu Bett gehen, munter und fidel um die Häuser zieht.
Vergeblich hielt ich Ausschau nach einem japanischen Restaurant – Reis, grüner Tee, Essstäbchen. Schließlich speiste ich in einer Pizzeria, allein mit meinem Handy, das nicht klingeln wollte. Aufrecht auf meinem Stuhl sitzend, das Geklirr der Messer und Gabeln um mich herum ignorierend, konzentrierte ich mich auf andere Empfindungen. Gerüche von Sardellen, Tomaten und Basilikum. Die Inneneinrichtung aus dunklem Holz, das mit Muscheln und kleinen Segelschiffen in Flaschen verziert war, erinnerte an die Höhle eines Seefahrers, der Schiffbruch erlitten hatte. Frauen, die Kleider aus Wildleder und Samt trugen, deren changierende Brauntöne an köstliche glacierte Maronen erinnerten.
Ich verließ das Restaurant um 20 Uhr. Kein Anruf von Geppu. Ich konnte es kaum noch erwarten, Agostina zu treffen. Das Gefängnis von Malaspina barg einen Schlüssel zur Aufklärung des Falles, das spürte ich. Oder zumindest hoffte ich es. Ein Lichtblitz, der dieses undurchschaubare Labyrinth erhellen würde.
Rückkehr ins Hotel. Fernsehen. Noch immer stand der Ätna im Zentrum der Berichterstattung. Noch immer schossen Lavafontainen aus der Nord- und Südflanke des Berges heraus, und allmählich machte sich in den Ortschaften südlich des Vulkans Panik breit … Begleitet von Prozessionen und Bittgebeten waren Tausende von Personen evakuiert worden.
Ein Spezialist, der ins Studio eingeladen worden war, erklärte, dass der Ausbruch drei Stadien durchlaufen würde: zunächst die Erdbebenwellen; dann die Lavaeruptionen, deren Ende niemand absehen konnte; schließlich Aschenregen. Die Staubschicht, die die Stadt bis jetzt beseitigt hatte, war noch gar nichts. Bald wäre die Region von dichtem Schwarz überzogen. Abschließend sagte der Mann mit einem Lächeln: »Aber in Catania sind wir daran gewöhnt!«
Das war der Schlüsselsatz. Trotzdem war dieser Ausbruch viel heftiger als alles, was die Menschen der Region bislang erlebt hatten. Bestand Anlass zur Sorge? Musste man den Zorn des Vulkans fürchten? Ein
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