Das Herz der Hoelle
[ … ] Ich habe meinen Körper verlassen. Ich kann es selbst nicht erklären, aber ich war nicht mehr in meinem Körper. Ich schwebte im Saal des Ambulatoriums. Ich näherte mich der Decke, und ich verspürte eine Angst , die mich wie ein Nebel einhüllte … Ich erinnere mich, dass ich das Zischen der Gaslampen hörte, ihren Geruch wahrnahm … Dann bin ich durch die Decke gefahren. Ich wusste nicht mehr, wo ich mich befand. Alles war schwarz. Nach einiger Zeit entdeckte ich eine Öffnung, einen Brunnen, direkt unter mir. Ich konnte die Steine der Wände sehen. Es waren Gesichter. Menschen, die stumm schrien. Es war schrecklich. Als ich den Boden des Brunnens betrachtete, wurde mir schwindlig und ich fiel [ … ]
Ich wollte schreien, aber die Geschwindigkeit hinderte mich daran – jedenfalls hatte ich kein Gesicht, keinen Mund, nichts mehr [ … ] Und dann hat mich das Stöhnen nach und nach eingelullt, die schmerzverzerrten Gesichter haben mich beruhigt [ … ] Diese blutigen Köpfe (sie waren verwundet) wurden warme, sanfte, stärkende Kleidungsstücke … Da hab ich ihn gesehen. Unter einer roten Kruste, er war da, er strich umher, sich windend, dicht an der Wand [ … ] E r hat mit mir gesprochen. Ich kann nicht sagen, welche Sprache er gesprochen hat, aber ich habe ihn verstanden, oh ja, ich habe ihn verstanden, im tiefsten Herzen. Mein ganzes Leben, seit meiner Geburt, ist rein, durchsichtig geworden – und mehr noch alles, was ich in Zukunft erleben und tun sollte [ … ] Mehr kann ich nicht sagen, aber ich bitte alle jene, die dies hier lesen werden, mir zu glauben: Was immer ich getan habe , ich hatte keine andere Wahl. Ich hatte nie mehr eine andere Wahl [ … ] «
Paul Ribes wurde im Mai 1883 nach Riom überstellt. Dann wurde er nach Saint-Martin auf der Île de Ré verlegt und anschließend nach Cayenne geschickt. Fünf Jahre später, im August 1888, starb er dort an der Malaria. Laut eines Berichts des Gefängnisarztes sagte Ribes, als er im Sterben lag: »Ich fürchte mich nicht vor dem Tod. Ich komme von dort.«
Die Ermittler des Heiligen Stuhls hatten eine zweite Anmerkung hinzugefügt. Dr. Boucherie selbst wurde 1891 ermordet, als er noch immer an seinem »dritten Erklärungsansatz« arbeitete und weltweit neue Erfahrungsberichte suchte. Er wurde in der Nähe des Gefängnisses Piedras Negras bei Lima in Peru erdolcht.
Ich dachte an Luc. Er hätte diese Aussagen zu schätzen gewusst. Und plötzlich fiel es mir wie Schuppen von den Augen. Ein Dreh- und Angelpunkt meiner Ermittlungen. »Ich habe den Schlund gefunden«, hatte er zu Laure gesagt. Er sprach über diese negative Nahtod-Erfahrung. Er hätte genauso gut sagen können: »Ich habe den Brunnen gefunden« oder »den Abgrund«, Ausdrücke, welche jene, die durch ein Wunder geheilt worden waren, verwendeten. Ja, Luc hatte die Spur der Lichtlosen gefunden. War er hierhergekommen? Hatte er eine Abmachung mit van Dieterling getroffen? Nein. In diesem Fall hätte sich der Kardinal nicht für meine Unterlagen interessiert. Welchen Weg hatte er gewählt? Wie hatte er die Armee der Vorhölle entdeckt?
Ich überflog die nächsten Dokumente, darunter einen Auszug aus dem englischen Buch Phantasms of the Living (1906), das eine Stelle aus dem Tagebuch des Gefängnisgeistlichen der Strafanstalt von Birmingham in den West Midlands zitierte. Der von Panik ergriffene Geistliche schilderte den Fall eines Besessenen in der Anstalt, »ein Mann, der seinen Körper verließ und dem Teufel begegnete«. Er ersuchte um die Unterbringung des Häftlings im Manchester Royal Lunatic Hospital, einer großen Nervenheilanstalt.
Ich blieb an einem ähnlichen Fall hängen, über den dreißig Jahre später ein amerikanisches Forscherpaar, Joseph Banks und Louisa Rhine, die Pioniere der wissenschaftlichen Parapsychologie, berichteten. Diese Forscher von der Duke-Universität in North-Carolina hatten Tausende von Meldungen über unerklärliche Erfahrungen gesammelt. Sie zitierten in ihren Archiven den Fall von Martha Battle, die 1927 in Minneapolis, Minnesota, für tot erklärt und anschließend wiederbelebt worden war. Laut Aussagen ihrer Verwandten hatte die Frau, nachdem sie aus der Bewusstlosigkeit erwacht war, den Verstand verloren. Sie behauptete, durch ein »finsteres Tal« gewandert zu sein, wo »Satan sie erwartete, um mit ihr zu verkehren«. Martha wurde zwei Jahre später verhaftet, nachdem sie ihre sieben Kinder vergiftet
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