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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Verbrechern.
       Gestützt wurde dies auch durch das folgende Beispiel, das den Archiven des Heiligen Offiziums in Lissabon entnommen war. Das Fragment aus dem Jahr 1541 beschrieb das Verhör eines gewissen Diogo Corvelho. Ich hatte mich eingehend mit dieser Epoche beschäftigt. Im 16. Jahrhundert hatte die Inquisition im Reich Karls V. neuen Auftrieb erhalten. Die Verfolgung richtete sich nicht mehr gegen Besessene, sondern gegen Häretiker eines neuen Typs: zum Katholizismus übergetretene Juden, die im Verdacht standen, heimlich an ihrem ursprünglichen Glauben festzuhalten.
       Dennoch berichtete der Auszug über das Verhör eines Menschen, der vom Teufel besessen war – ein gebürtiger Lissabonner, der Geschäften mit dem Teufel, aber auch Verstümmelungen und Morden an Kindern bezichtigt wurde. Ein Teil war ins Italienische übersetzt worden.
       Diogo Corvelho berichtete über eine »Wunde am Körper … durch die seine Seele ausgefahren war«. Er sprach von einem »Brunnen bewegter Schatten« und von einem »Dämon, der in rötlichem Eis gefangen war«. Die Inquisitoren waren auf diesen Punkt zurückgekommen – sie waren stereotype Geständnisse nach dem Muster »Flammen der Hölle« und »Tier mit glühenden Augen« gewöhnt. Aber Corvelho hatte seine Aussage wiederholt und dabei abwechselnd von »Eis«, »Raureif« und »Kruste« gesprochen. Hinter dieser Wand beschrieb er ein »verwundetes, milchiges Gesicht, das von Blitzen durchbohrt und wie von einer Membran überzogen ist …«
       Nebenbei bemerkte ich, dass all diese Ausdrücke in den apokryphen Schriften der ersten christlichen Jahrhunderte vorkamen, in denen die Hölle beschrieben wurde – waren sie ebenfalls von den Visionen der Lichtlosen beeinflusst worden?
       Corvelho war 1542 beim zweiten Lissabonner Autodafé zusammen mit Hunderten von Juden, die der Ketzerei beschuldigt wurden, verbrannt worden. Ein Schreiben, das auf ihn Bezug nahm, war an den Heiligen Stuhl geschickt worden. Der Apostolische Palast fasste die Verfasser dieser Zeugenaussagen bereits unter dem Namen der »Lichtlosen« zusammen. Sie wurden auch »Bewohner der Vorhölle« genannt.
       Inzwischen war es fast 14 Uhr. Ich musste einen Zahn zulegen. Ich überflog die Zeugnisse aus dem 17. und 18. Jahrhundert. Von nun an waren die Männer des Heiligen Offiziums immer bestrebt, das Schicksal des Zeugen in Erfahrung zu bringen. Es war jedes Mal der gleiche Absturz. Vergewaltigungen, Folterungen, Morde. Ein Ende am Galgen oder auf dem Schafott.
       Die Bewohner der Vorhölle.
       Eine Armee von Mördern, durch die Geschichte hindurch.
       Zufällig blieb ich an einem längeren Zitat aus dem 19. Jahrhundert hängen. In den 1870er Jahren hatte der französische Arzt und Kriminologe Simon Boucherie Aussagen von zahlreichen inhaftierten Mördern gesammelt. Er wollte ein Archiv über Erscheinungsformen abweichenden Verhaltens aufbauen und die Ursachen des Mordtriebs erhellen. Boucherie identifizierte zwei scheinbar gegensätzliche Hauptursachen: den sozialen Faktor: »Man wird nicht als Verbrecher geboren, sondern durch die Gesellschaft und die Erziehung dazu gemacht«, und den erblichen Faktor: »Man wird als Verbrecher geboren; eine Fehlregulierung im Blut führt zu Gewalttätigkeit.« Ich kannte diesen Kriminologen und seine verworrenen Theorien. Was ich nicht wusste, war, dass dieser Mann gegen Ende seines Lebens einen dritten Erklärungsansatz verfolgt hatte, den des »Besuchs«.
       Sein Musterfall war Paul Ribes, der 1882 im Gefängnis Saint-Paul in Lyon inhaftiert worden war. Ribes war wegen der Ermordung einer gewissen Émilie Nobécourt verhaftet worden – er hatte sein Opfer erdolcht und dann in zwölf Teile zerstückelt. Hinter Gittern hatte der Mann acht weitere Morde gestanden, die er alle im Lyoner Stadtviertel Villette begangen hatte.
       Als Boucherie ihn bat, seinen kriminellen Werdegang niederzuschreiben, legte Ribes Nachdruck auf das, was er die »Ursache seines Unglücks« nannte – eine lange Bewusstlosigkeit im Anschluss an eine Kopfverletzung im Alter von zwanzig Jahren. Die päpstlichen Ermittler hatten sich das Original des Berichts beschafft. Meine Datei enthielt eine eingescannte Stichprobe des vom Mörder mit ungelenker Hand verfassten Textes – den ich zu lesen beschloss.
       » … Während ich bewusstlos war, hatte ich einen Traum. Die Ärzte sagen mir, dies sei unmöglich, aber ich schwöre es: Ich habe geträumt.

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