Das Herz der Hoelle
Brunnen, Tal, Tunnel, Loch, Schlucht, Höhle«, »Gesichter, Stöhnen«, »Angst, Wohlbehagen«, »rotes Licht, Leuchtfeuer, Auge«, »Eis, Raureif, Lava, Blut«, »Teufel, der Böse, ›Er‹, Luzifer« …
Plötzlich stutzte ich, denn mir ging ein Licht auf.
Anders als ich war Luc nicht entsetzt, als er den »Schlund« und die Lichtlosen entdeckt hatte. In seinen Augen war diese Erfahrung ein geeignetes Mittel, um mit dem Teufel in Verbindung zu treten. Der physische Beweis für die schwarze Macht, an die er immer geglaubt hatte.
Was hatte er dann herausgefunden, was ihn dazu veranlasste, die Nachforschungen einzustellen und sich das Leben zu nehmen? Mit einem umgeschlagenen Ärmel wischte ich mir den Schweiß von der Stirn. Ich steckte gerade mein Notizbuch in meine Jacke, als hinter mir die Stimme des Kardinals ertönte:
»Überzeugt?«
KAPITEL 69
Die Frage erheischte keine Antwort. Ich wandte den Kopf. Kardinal van Dieterling kam näher. Er schien über den Boden zu gleiten. Ich fragte:
»Agostina Gedda gehört also in diese Gruppe?«
»Sie hat uns ihre Erlebnisse geschildert, ja. Ich nehme an, dass sie auch mit Ihnen darüber gesprochen hat.«
»Sie hat von einem Traum berichtet. Der Teufel hätte sie angestachelt, sich zu rächen. Ihr – oder vielmehr ›ihm‹ – zufolge soll Salvatore sie die Felswand hinuntergestoßen haben, als sie elf Jahre alt war.«
»Das stimmt. Wir haben das überprüft. Wir haben die anderen Kinder, die damals dabei waren, ausfindig gemacht.«
»Kann sie sich nicht selbst daran erinnert haben?«
»Hören Sie auf, die Tatsachen zu leugnen. Dann kommen Sie schneller voran.«
Agostina hatte mir genau das Gleiche gesagt. Ich stand auf, um mit dem Kardinal auf Augenhöhe zu sein. Hinter mir schaltete Rutherford bereits den Computer aus. Ich stellte den Mann in Schwarz und Purpur unverblümt zur Rede:
»Eminenz, was haltet Ihr davon? Glaubt Ihr tatsächlich, dass Agostina der Teufel erschienen ist? Dass er sich all diesen wiederbelebten Menschen gezeigt hat? Ich meine: ein echter Teufel? Eine inspirierende und zerstörerische Kraft?«
Van Dieterling antwortete nicht. Ich nahm die Kühle und Feuchtigkeit in dem Zimmer wieder wahr. Schließlich sagte er, mit der Hand über die blassen und vergoldeten Bücherrücken streichend:
»Was ich glaube, tut nichts zur Sache. Agostina hatte ein Erlebnis, das sie psychisch verändert hat. Diese Wandlung vollzog sich langsam, über einen Zeitraum von achtzehn Jahren. Aber als sie abgeschlossen war, war die durch ein Wunder geheilte Frau aus Paterno eine Mörderin. Abyssum abyssus invocat. «
»Der Abgrund ruft den Abgrund herbei.« Ich fing den Ball auf:
»Eben. Ich würde gern an ein ›bloßes‹ psychisches Trauma glauben. Eine Halluzination, die ihre Persönlichkeit verändert hat. Aber da ist die körperliche Gesundung. Ihr seid gerade recht schnell über diese Heilung hinweggegangen. Dieses Wunder könnte ein konkreter Beweis für die Existenz des Teufels sein. Er hätte das Kind gerettet und wäre ihm gleichzeitig erschienen. Und dann viel später zweifellos weitere Male.«
Der Kleriker lächelte wieder hämisch:
»Aber Sie glauben nicht an Satan …«
»Ich mache mich zum Anwalt des Teufels. In all diesen Erfahrungsberichten ist von einer Erscheinung hinter einem roten Licht die Rede. Ein Wesen der Finsternis, das mit ihnen gesprochen hat. Und mir ist aufgefallen, dass sie alle dieses Zwiegespräch nicht wiedergeben …«
»Den Hölleneid.«
»Was?«
»Den Pakt mit dem Bösen. Eine sehr alte Überlieferung hat ihm diesen Namen gegeben: der Hölleneid.«
»Was bedeutet das?«
»Der Teufel gibt nichts umsonst. In dem Augenblick, in dem der Betreffende stirbt, bietet Satan seinen Handel an. Die Lebensrettung gegen eine völlige Unterwerfung. Das Versprechen, Böses zu tun. Dieses ›Geschäft‹ wird Hölleneid genannt. Der faustische Pakt, aber in seiner psychischen Version. Die berühmte cedula, das Gefolgschaftsgelöbnis, das der Ketzer mit seinem Blut unterzeichnet. Hier ist der Eid ein rein geistiger Prozess. Es bedarf keines Blutes und keines Zeremoniells. › Lex est quod facimus. ‹ Der Besessene schreibt durch seine Verbrechen ein neues Gesetz.«
Die Wörter Agostinas. Ich spürte ein Kribbeln im Nacken. Alles fügte sich nahtlos ineinander. Die Tatsachen waren
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