Das Herz der Hoelle
Unendlichen verlor.
» Prego , Pardon, sorry …« Ich zwängte mich zwischen den Gruppen hindurch. Eine Schleife folgte auf die andere wie eine Folge von Loopings, die scheinbar nicht mehr aufhört. Ein Gedanke schoss mir durch den Kopf: Die Form dieses Wendelgangs entsprach der Tiefenstruktur des Menschen. Es gab eine geheime Übereinstimmung zwischen dieser Form und der inneren Architektur des Menschen. Ich dachte an die Helixform unserer DNA, als ein massiger Mann vor mir die Rampe betrat und mir den Durchgang versperrte. Seine Schultern waren so breit wie der Gang. Ich stieß gegen seinen Arm und sagte lauter: » Prego! « Der Typ rührte sich nicht. Im Gegenteil, seine Finger umklammerten den bronzenen Handlauf.
Ich begriff einen Moment zu spät. Ich warf mich gegen die Mauer. Ein Messer schoss hinter mir empor. Die Klinge bohrte sich in den Unterarm des Dickhäuters. Ich drehte mich um: Ich sah nichts. Nur Touristen, die zu drängeln begannen, weil ich nicht weiterging. Ich drehte mich abermals um. Auch der verwundete Arm war verschwunden.
Alles war so rasend schnell abgelaufen, dass ich mich fragte, ob ich nicht geträumt hatte. In diesem Augenblick packte mich jemand. Ein Mann – ohne Gesicht, nur eine Baseballmaske mit heruntergeklapptem Visiergestell – hob mich hoch und versuchte mich über den Rand zu schubsen. Ich wehrte mich und klammerte mich am Rampengeländer fest, wobei ich den Trenchcoat und die Aktenmappe fallen ließ. Aus der Unordnung wurde Chaos. Die Touristen prallten gegeneinander. Die Balustrade gegen meinen Bauch, der Abgrund unter mir.
Ich schlug gegen die Brüstung und stemmte mich mit meinem ganzen Gewicht gegen den Zug, um nicht umzufallen. Die Hände zogen noch immer. Der Strom der Besucher teilte sich nun und floss an uns vorbei, ohne dass irgendjemand Notiz von unserem Kampf nahm. Niemand schien zu bemerken, dass man mich umzubringen versuchte.
Ichschlug mit der Faust zu. Der Schlag verlor sich in der Menge, aber die Umklammerung lockerte sich. Ich fiel quer über die Rampe. Ein Schrei, der von der Ellipse aufstieg. Ich rollte mehrere Meter weit, angestoßen von einem Gewirr von Füßen. Alle drängten zum Geländer. Was war los? Ich stand auf und begriff. In dem Gedränge war der Killer hintenübergekippt. Als ich mich wehrte, musste ich ihm die Beine weggeschlagen haben, sodass er über die Brüstung stürzte.
Ich hob meine Sachen auf. Im Schockzustand eilte ich den Wendelgang hinunter. Niemand hatte etwas von unserem Kampf mitbekommen. Niemand hatte mich am Arm gepackt und »as sassino! « geschrien. Ich wurde mit dem Strom ins Erdgeschoss gespült.
Um die Leiche hatte sich ein Kreis gebildet. Wärter schrien, um die Menge auseinanderzutreiben. Ich schlängelte mich durch das Gedränge hindurch.
Die Leiche lag in einer unmöglichen Stellung. Das linke Bein war völlig ausgerenkt, sodass der Fuß die Hüfte berührte. Der rechte Arm war glatt abgebrochen und unter den Rücken gerutscht. Der Schulterknochen hatte das Hemd durchbohrt. Der Helm lag einen Meter von dem glänzenden Schädel entfernt, der auf dem hellen Marmor geborsten war. Ein riesiger dunkler Fleck zeichnete sich um das Gesicht ab, das dadurch noch fahler aussah.
Der Anblick einer Leiche ist immer bestürzend, aber ich hatte noch einen weiteren Grund, um verblüfft zu sein: Ich kannte diesen Mann. Patrick Cazeviel, der zweite Verdächtige im Mordfall Manon Simonis. Der einstige Knastbruder, der von der Hüfte bis zu den Schultern tätowiert war, der Gefangene der Engel und Dämonen.
Ein Detail unter seinem linken Schlüsselbein erregte meine Aufmerksamkeit.
Eine Tätowierung, die die anderen bläulichen Furchen und Arabesken bedeckte. Eine Zeichnung, die die Präzision einer KZ-Nummer oder einer Narbe hatte, aber die mir bei unserer ersten Begegnung nicht aufgefallen war. Eine Art Halseisen oder ein Halsring, wie ihn früher Gefangene trugen, an dem eine Kette befestigt war.
Ich hatte dieses Symbol schon einmal gesehen. Aber wo?
KAPITEL 71
»Fiumicino. International Airport.«
Ich sprang ins Taxi. Ich wollte Rom so schnell wie möglich verlassen. Das erste Flugzeug nehmen und möglichst viele Kilometer zwischen mich und diesen gewaltsamen Tod bringen. »Ein Unfall«, murmelte ich. Die Wörter zitterten in meinem Mund. »Ein Unfall …«
Via de Lungara. Ich dachte an meine Reisetasche, die in der Pension geblieben
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