Das Herz der Hoelle
zurückgekehrt, mit einem rätselhaften Sprung über die Jahrhunderte.
KAPITEL 70
»Ich verlasse Sie hier. Sie gehen einfach den gleichen Weg zurück, den wir gekommen sind. Am Ende des Saals wenden Sie sich nach rechts in die Galerie. Ganz hinten finden Sie dann den Ausgang.«
Der honigsüße Ton von Rutherford stand in deutlichem Gegensatz zu der herrischen Stimme van Dieterlings. Wir waren wieder an die Oberfläche gekommen. Im Türspalt sah ich den Salone Sistino:
»Kein Problem«, sagte ich geistesabwesend.
Ich verabschiedete mich von Rutherford und wandte mich zum Gehen, als er mich am Arm festhielt:
»Unsere Adresse und Telefonnummer«, sagte er, während er mir ein gefaltetes Blatt in die Tasche steckte. »Für den Fall, dass Sie sie verloren haben sollten.«
Er lächelte noch immer, aber er ballte jetzt die Fäuste. Ich mischte mich unter die Besucher, die nun in Trauben durch den Salone Sistino schlenderten. Den Regenmantel über den Arm gehängt, hielt ich meine Ermittlungsakte wie ein Tourist, der sich Notizen macht.
Nach diesen Stunden der Einsamkeit und der Enthüllungen war ich benommen. Ich nahm weder die Menge noch das Stimmengewirr um mich herum wahr. Ich sah nur die Wandgemälde.
Sixtus V. streckte die Hand zu den Plänen der neuen Bibliothek aus, die man ihm überreichte. Kaiser Augustus, der Gründer der Biblioteca Palatina, wandelte unter Schriftstellern, die bärtigen und nackten Eremiten glichen. Kirchenfürsten saßen beim Konzil von Konstantinopel auf Thronen, während Soldaten mit den Fingern auf sie zeigten.
Die weißen Mitren, die goldbraunen Helme, die roten und safrangelben Roben, all dies stieg mir zu Kopf. Jedes Detail löste in mir eine körperliche Empfindung aus, die genauso konkret war wie ein Schluck glühend heißen Tees oder ein Guss mit eiskaltem Wasser. Das Raunen der Stimmen, die Hitze der Körper schienen in dem Unwohlsein aufzugehen …
Plötzlich schwanden mir die Sinne. Ich lehnte mich gegen eine Schulter und erntete dafür einen Rippenstoß, der von lauten Protestäußerungen in skandinavischer Sprache begleitet wurde. Ich musste sofort den Saal verlassen. Ich mischte mich unter den Strom der Besucher.
Die Gemälde zogen an mir vorüber. Ein Christus schwenkte vor mir eine Tafel, auf der stand: EGO SUM. Die Buchstaben brannten sich in mein Gehirn ein. Schließlich erreichte ich die Galerie.
Dort empfand ich nicht die geringste Erleichterung: Sie war übervoll mit Fresken, Skulpturen und antiken astronomischen Objekten. Ich ging nach rechts und bahnte mir einen Weg durch den Strom der Menschen, vorbei an den Fenstern, die auf die Gärten des Vatikans und ihre Pinien gingen. Mein Blick trübte sich, und ich bekam eine eisige Gänsehaut.
Plötzlich eine tiefe Beklommenheit.
Eine durchdringende, andersartige Empfindung.
Ich wurde verfolgt. Keiner der Männer van Dieterlings und auch nicht der abstrakte Blick Pazuzus. Etwas anderes. Im Bruchteil einer Sekunde wusste ich, dass es die Killer waren. Ich blickte in die Runde. Nichts. Mit Ausnahme der Touristen, die langsam durch die Galerie schlenderten und die Gemälde, die Weltkarten und die Himmelsgloben bewunderten. Trotzdem fühlte ich mich beobachtet, belauert, bedroht. Und diese Menge bildete eine hervorragende Kulisse für eine diskrete Hinrichtung mit blanker Waffe. Der Strom würde mich mit der Klinge im Bauch bis zum Ausgang mit sich tragen.
Ich bahnte mir einen Weg und begleitete meine Schritte mit » Prego «,»Pardon« und » Sorry «,wobei ich als Antwort Gemurre und Rippenstöße erntete. Nachdem ich an den Museumswärtern, die die Herde überwachten, vorbeigegangen war, stellte ich mich in eine Ecke vor eine Glastür und holte Luft.
Mir gegenüber hing eine Glasmalerei: Eine Madonna mit dem Gotteskind, in Blau und Rot, sah mich gebieterisch an. Dieser Blick befahl mir, meinen Weg furchtlos weiterzugehen. Ich fühlte mich irgendwie ermutigt. Ich verließ mich auf Gott und mischte mich erneut unter die Menge.
Das Ende der Galerie. Die Masse der Touristen schien hier noch dichter zu sein, wie ein Strom, der von tausend Wasserläufen gespeist wird. Bevor ich den Ausgang des Museums erreichte, musste ich eine letzte Hürde überwinden: die große Spirale mit der Bronzerampe von Giuseppe Momo. Die sanft abfallende Helix mit ihren nach unten breiter werdenden Kurven glich einer Struktur, die sich im
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