Das Herz der Hoelle
Wasserfläschchen in Form der Muttergottes …
Ein dumpfes Geräusch stieg von den Anhöhen der Stadt auf. Gesänge. Die Feier hatte begonnen. Ich ging weiter hangaufwärts auf die Basilika der Unbefleckten Empfängnis und die Grotte von Massabielle zu. Das erzbischöfliche Palais konnte nicht weit weg sein. Erstes Ziel: Den Bischof von Lourdes, Monsignore Perrier, befragen. Anschließend wollte ich das Medizinische Büro aufsuchen, um mich mit dem Arzt zu unterhalten, der für den Fall Agostina zuständig gewesen war.
Ich überholte die, die sich verspätet hatten. Familien, die sich um einen Rollstuhl scharten, Krankenschwestern, die sich sputeten, abgehetzte Priester, deren Soutane im Wind flatterte. Am Ende der letzten Straße konnte ich mit einem Blick die Stätte der Feier umfassen. Plötzlich war ich zu Tränen gerührt.
Am Fuß der gewaltigen Basilika verharrten Tausende von Gläubigen reglos, die Augen auf die Grotte der Erscheinungen gerichtet, die von Efeu und Kerzen verschlungen wurde. Banner und Spruchbänder knatterten im Wind. » Peregrinos de un dia «,»Pilger für einen Tag«, » Polka missa katolik «.Blaue Regenschirme und Reisedecken in der gleichen Farbe, die die Kranken wärmten, bildeten zahllose Tupfen in der Menge.
Ich erkannte auch die verschiedenen Orden beziehungsweise Kongregationen: die schwarzen Tuniken der Benediktiner, die ungebleichten Skapuliere der Zisterzienser, die kahlen Schädel der Karthäuser, das rot-blaue Kreuz der Trinitarier. Auch Frauen. Himmelblau gestreifte weiße Schleier der Missionarinnen der Nächstenliebe von Mutter Teresa und, viel seltener, den schwarzen Mantel mit dem roten Kreuz auf der Schulter der Schwestern vom Heiligen Grab von Jerusalem, die auch »Wächterinnen des Unsichtbaren« genannt wurden.
Die Menge sang im Chor das Ave Maria. Wie eine Klinge drang diese Glaubensinbrunst in mich ein, schmerzhaft und wohltuend zugleich. Ich liebte diese großen Menschenansammlungen, von denen ein allumfassender Glaube ausging. Mitternachtsmessen, Ansprachen des Papsts auf dem Petrusplatz, Sommertreffen in Taizé …
Ein geschäftiger Mann in Soutane ging vor mir her. Er wandte der Feier den Rücken zu. Zweifellos ein Priester aus der Gegend. Ich winkte ihm zu.
»Entschuldigung, ich suche die Residenz des Bischofs.«
»Monsignore Perrier?«
»Ich muss ihn so schnell wie möglich sprechen.«
Er warf einen Blick über seine Schulter zum Vorplatz der Basilika.
»Das wird heute schwierig sein. Es ist ein Feiertag.«
Ich zog meinen Dienstausweis heraus:
»Es eilt.«
Seine Stirn legte sich in Falten. Ich hatte mich wohl im Ton vergriffen.
»Sie müssen das Ende der Messe abwarten.«
»Wo ist seine Residenz?«
»Auf dem Hügel, etwas weiter oben.«
»Ich werde ihn dort erwarten.«
»Das erzbischöfliche Palais ist ausgeschildert. In einem Park. Ich gehe zur Grotte. Ich werde ihm sagen, dass Sie ihn erwarten.«
Ich machte mich wieder auf den Weg. Der graue Himmel spiegelte sich auf der feuchten Straße, die metallen schimmerte. Diese öden Straßen mit den allzu dicht gedrängten Granitfassaden hatten etwas Schmerzliches, unendlich Trostloses und zugleich etwas sehr Starkes, Unzerstörbares.
Ich betrat den Park durch das Gartentor, obwohl ich bereits wusste, dass ich nicht die Geduld hätte, hier zu warten. Sollte ich direkt ins Medizinische Büro gehen? Ich durchquerte den Garten und entdeckte dann das Chalet – ein Pfarrhaus von der Größe einer Fabrik.
Ich betrat das Vestibül. Gipswände, ein großes Kreuz gegenüber dem Eingang, eine Holzbank. Ich setzte mich hin und zündete mir eine Zigarette an.
Eine Tür knallte am Ende des Gangs.
Ein Priester tauchte auf und schrie in ein Handy:
»Meine Experten sind in zwei Stunden da. Ich hole die Akte des Patienten selbst ab, weil Sie nicht imstande sind, sie uns zu schicken. Das Büro ist geöffnet, oder?«
Innerhalb einer Sekunde begriff ich, dass er vom Medizinischen Büro sprach. Ich folgte ihm nach draußen und sprach ihn an, als er sein Handy zuklappte.
Der Mann blieb stehen und blickte mich feindselig an. Er schien einem Roman von Bernanos entsprungen. Eingefallene Wangen, ein fanatischer Blick und eine Soutane, die so abgenutzt war, dass sie glänzte. Ich fragte ihn, ob das Medizinische Büro heute geöffnet habe. Er bejahte. Ich
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