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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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oder in Gelächter ausbrechen würde. In den letzten zwei Jahren hatten wir nur wenige Briefe ausgetauscht. Ich hatte ihm mitgeteilt, dass ich zum Studium am Priesterseminar in Rom zugelassen worden war. Er hatte mir geantwortet, dass er weiterhin seiner »Arbeit« nachgehe und immer tiefer in den Süden vordringe, wo sich christliche Rebellen mit den regulären Truppen eine Schlacht lieferten. Seine Briefe waren sonderbar, kalt und seltsam nüchtern, sodass man nicht wusste, wie er sich dort fühlte.
       »Im Sudan«, sagte er hämisch, »habe ich nur die Spuren des Teufels gesehen. Hungersnöte, Krankheiten, der Tod. Und in Vukovar, in Jugoslawien, habe ich die Bestie in Aktion gesehen.«
       Aus den Zeitungen wusste ich, dass die kroatische Stadt nach dreimonatiger Belagerung in die Hände der Serben gefallen war.
       »Säuglinge, denen bei Bombenexplosionen der Kopf abgerissen wurde. Kinder mit ausgekratzten Augen. Schwangere, denen man den Bauch aufgeschlitzt hatte, bevor sie bei lebendigem Leib verbrannt wurden. Verwundete, die in Krankenhäusern aus allernächster Nähe erschossen wurden. Halbwüchsige, die man dazu zwang, ihre Mütter zu vergewaltigen … All dies habe ich gesehen. Das Böse in Reinkultur. Eine Kraft, die in den Menschen entfesselt wurde.«
       Ich schluckte und dachte an meine gelbe Zelle, in der ich allmorgendlich auf Radio Vatikan die Nachrichten hörte. Warm und geborgen. Ich fragte:
       »Wie … wie bist du damit klargekommen?«
       »Ein Wunder.«
       »Für welche Organisation arbeitest du?«
       »Für keine.«
       Er feixte wieder und näherte sich dem Holzgitter zwischen uns.
       »Ich habe zu den Waffen gegriffen, Mat.«
       »Was?«
       »Freiwilliger Soldat. Der einzige Weg, um dort unten zu überleben.«
       Plötzlich schoss mir der Gedanke durch den Kopf, dass Luc vielleicht beichten wollte. Aber ich irrte mich: Er bereute nichts. Im Gegenteil, er war stolz darauf, endlich zur Tat geschritten zu sein. Ich wurde wütend:
       »Wie konntest du nur?«
       Luc kauerte sich in der Finsternis abermals zusammen. Der Gesang in der Kathedrale verstummte. Da hörte ich ein Geräusch, das ganz aus der Nähe kam: Luc weinte, das Gesicht in seinen Händen verborgen. Ich wechselte den Tonfall:
       »Du musst das alles vergessen. Was sie getan haben, was du getan hast … Du kannst die Menschheit nicht nach ihrem Verhalten in einer Krisensituation beurteilen. Du warst in einem seelischen Ausnahmezustand, wo der Mensch zu einem Monster wird. Du …«
       Luc hob den Kopf und neigte sich wieder vor. Auf seinen Backenknochen schimmerten Tränen, trotzdem lächelte er. Ein gezwungenes Lächeln, das sein Gesicht zu einer Grimasse verzog:
       »Und du, du bist noch immer im Seminar?«
       »Seit drei Monaten.«
       »Du trägst ja gar keine Soutane. Bist du inkognito gekommen?«
       »Verhöhne mich nicht.«
       Er lächelte schnaubend:
       »Noch immer im Heim der Gesunden?«
       »Was ist in dich gefahren? Du hast vierundzwanzig Jahre gebraucht, um die Gewalt zu entdecken? Vukovar, um das Ausmaß der menschlichen Grausamkeit zu ermessen? Und was wirst du jetzt tun? Zu einer anderen Front aufbrechen? Das Licht ist in uns, Luc. Erinnere dich an Johannes: ›Der Sohn Gottes aber ist erschienen, um die Werke des Teufels zu zerstören.‹«
       »Er ist zu spät gekommen.«
       »Wenn du so denkst, hast du den Glauben verloren. Wir dürfen uns nicht vom Bösen faszinieren lassen, wir müssen zum Guten aufrufen und mit gutem Beispiel vorangehen …«
       »Du bist ein Drückeberger, Mat. Du bist cool, aber ein Drückeberger. Ein gläubiger Spießer.«
       Ich umfasste das Holzgitter. Draußen ertönten wieder Weihnachtslieder.
       »Was suchst du? Was willst du?«
       »Weiterhin aktiv sein.«
       »Kehrst du nach Jugoslawien zurück?«
       »Ich habe mich in der Akademie in Cannes-Écluse eingeschrieben.«
       »Wo?«
       »In der Führungsakademie der Polizei. Ich werde Polizist. In zwei Jahren fahre ich Streife. Es gibt keinen anderen Weg. Ich möchte den Teufel auf seinem Terrain bekämpfen. Ich will mir die Hände schmutzig machen. Kapiert?«
       Seine Stimme war ruhig und entschlossen. In meinem Innern dagegen zerbrach etwas. Noch einmal Johannes: » Wir wissen: Wir sind aus Gott, aber die ganze Welt steht unter der Macht des Bösen.«
       Ich schloss die Augen und sah uns, Luc und mich,

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