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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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an die Säulen der Abtei Saint-Michel-de-Sèze gelehnt. Wir wollten die Kirche und die Welt verändern …
       »Frohe Weihnachten, Mat.«
       Als ich die Augen aufmachte, war der Beichtstuhl leer.
       Der Schock währte mehrere Monate.
       Im Seminar war ich mit den Gedanken jetzt immer woanders. Die Sakramente, die Liturgie, das Gebet, die Beichte … Ich hörte nicht richtig zu, wiederholte die Gesten mechanisch. Auf Radio Vatikan verfolgte ich die Nachrichten aus Jugoslawien. Bei jedem Blutbad, bei jeder Gräueltat betete oder fastete ich. Ich ekelte mich vor mir selbst. Ein Drückeberger. Ein Spießer des Glaubens.
       Ich musste immer wieder an Luc denken. Was hatte diesen Intellektuellen, diesen leidenschaftlichen Theologen dazu veranlasst, ein einfacher Polizist zu werden? Ich hatte keinen blassen Schimmer. Aber seine sarkastischen Bemerkungen gingen mir nicht mehr aus dem Ohr. Jeden Tag glaubte ich ein bisschen weniger an meine Berufung. Mein Studium erschien mir fruchtlos und unglaublich bequem! Ich hatte die Askese gewählt, doch ich lebte wie ein Pascha. Wohl verköstigt und gut untergebracht, führte ich ein behütetes Leben im stillen Gebet und widmete mich den Büchern.
       Ich stellte mir meinen weiteren Berufsweg vor. Ich würde niemals Landpfarrer werden. Nach Abschluss des Seminars und der Dissertation würde ich in Rom bleiben und in die Päpstliche Universität Gregoriana oder die Päpstliche Akademie – die Kaderschmieden der Kurie – eintreten. Nach einer Reihe von Posten in europäischen Nuntiaturen würde ich die Karriereleiter innerhalb der Hierarchie erklimmen und in die höchsten Ämter der Römischen Kurie gelangen. Eine gesicherte »Stellung« im Zeichen von Wohlstand und Macht. Alles, was ich bei meinen Eltern verabscheut hatte, holte mich jetzt in anderer Form wieder ein.
       Ich redete mit meinen Vorgesetzten offen über meine Zweifel. Doch ich bekam nur akademische Antworten, die üblichen Phrasen der Kleriker, Trostpflästerchen für die Qualen der Seele. Am 29. Juni 1992, dem Tag der Einführung künftiger Priester »in den Körper der heiligen römisch-katholischen Kirche« legte ich die Soutane ab.
       Luc täuschte sich, ich befand mich nicht in einem »Heim für Gesunde«.
       Ich war auf einem Friedhof.
       Alle hier waren tot.
       Ich eingeschlossen.
       Ich kehrte nach Paris zurück und suchte umgehend das erzbischöfliche Ordinariat auf. Die Liste der religiösen humanitären Organisationen war lang. Ich blieb bei der ersten hängen, die auf dem Kontinent, den ich mir ausgesucht hatte – Afrika –, Hilfsmissionen durchführte. »Terres d’espoir«, eine Organisation der belgischen Franziskaner, die auch Laien aufnahm, erschien mir ideal. Diese Gruppe wagte sich am weitesten in riskante Regionen vor.
    Anfang 1993 brach ich zu meinem ersten Abenteuer auf. Ruanda, ein Jahr vor dem Völkermord.
        
    Die Ausfahrtsschilder auf der Autobahn rissen mich in letzter Minute aus meinen Erinnerungen. Als ich in den Tunnel bei der Porte d’Orléans eintauchte, musste ich wieder an Luc und daran denken, dass wir, zeitlich versetzt, den gleichen Weg gegangen waren. Er war mir immer voraus gewesen. Dieser Gedanke ließ mich erschauern. Niemals würde ich ihm in den Selbstmord folgen. Aber ich musste mir jetzt eingestehen, dass er tatsächlich versucht hatte, sich umzubringen – und ich musste den Grund dafür herausfinden. Irgendetwas war geschehen. Etwas Unvorstellbares, was Luc aus der Bahn geworfen hatte.
       Ich musste verstehen, weshalb er diesen Entschluss gefasst hatte.
       Nur dann würde er das Bewusstsein wiedererlangen.

KAPITEL 9
    Büro. Papierkram. Haftnotizen. Ich machte die Tür zu meinem Büro zu und öffnete eine neue Schachtel Zigaretten. Rauchen kann die Spermien schädigen und die Fruchtbarkeit verringern . Diese Warnhinweise gingen mir auf die Nerven. Ich dachte daran, was Antonin Artaud über Rauschgift geschrieben hatte: »Es spielt keine Rolle, welche Mittel man einsetzt, um sich zugrunde zu richten: Das geht die Gesellschaft nichts an.«
       Ich warf einen kurzen Blick auf die gelben Aufkleber, die auf den Aktenbündeln klebten. »11 Uhr: Dumayet anrufen«, »Mittags: Dumayet« und wieder: »14 Uhr: Dumayet. DRINGEND!« Nathalie Dumayet, Polizeidirektorin und Abteilungsleiterin, war die Chefin aller Ermittlungsgruppen bei der Pariser Mordkommission. Ich sah auf meine Armbanduhr: nicht einmal 15 Uhr. Zu früh,

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