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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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Vertrauen, Hoffnung. Die alten Ängste waren zurückgekehrt. Dieser Mord bewies, dass alles wahr war. Eine Gefahr schwebte über der Familie. Eine Gefahr, die sie 1988 heimgesucht hatte und die ihr 2002 die Mutter geraubt hatte.
       Als Zamorski ihr vorgeschlagen hatte, nach Polen zu kommen und so lange dort zu bleiben, bis der Mörder festgenommen worden sei, hatte sie das Angebot, ohne zu zögern, angenommen. Sie konnte es nicht mehr erwarten, dass ihr eigenes Rätsel gelöst würde.
       All das wusste ich oder hatte es geahnt. Was sie jedoch nicht wusste – weil sie sich nicht mehr daran erinnerte –, war die Tatsache, dass sie von perversen Männern verdorben und von ihrer eigenen Mutter ermordet worden war. Ich würde ihr nicht die Wahrheit sagen, weder an diesem Abend noch morgen. Ich lächelte, vom Wodka benebelt, und stellte fest, dass ich noch immer nicht die gewünschte Auskunft erhalten hatte.
       »Hast du jemanden in Lausanne, ja oder nein?«
       Sie lachte laut auf. Der Geruch von verbranntem Fett, die Hitze, die Stimme der Sängerin, all das existierte für sie nicht. Und für mich auch nicht. Ich fühlte mich auf den Grund des Meeres versetzt, wo mich der gewaltige Wasserdruck betäubte und ich doch bestimmte Geräusche mit außerordentlicher Schärfe wahrnahm. Wie wenn man mitten in einem Tauchgang ein schrilles Klirren oder tiefe Töne vernimmt, die vom Wasser getragen werden.
       »Ich habe eine Affäre gehabt«, sagte sie. »Einer meiner Professoren. Ein verheirateter Mann. Eine einzige lange Qual, von einigen kurzen Momenten des Glücks unterbrochen. Ich wusste selbst nicht, was ich wollte.«
       »Was soll das heißen?«
       Sie zögerte und fuhr dann mit dunkler Stimme fort:
       »Im Grunde genoss ich diese Heimlichtuerei, dieses Leiden und die Beschämung. Diese Art … Entwürdigung. Wie wenn man trinkt, verstehst du? Man genießt jeden Schluck, und gleichzeitig weiß man, dass man sich zugrunde richtet, dass man mit jedem Glas ein Stück tiefer sinkt.«
       Sie ließ ihren Worten sogleich Taten folgen und trank ihren Wodka in einem Zug leer. Dann fuhr sie fort:
       »Ich glaube … nun ja, diese Todessehnsucht, diese Lust am Verbotenen erinnerte mich an mein eigenes Leben. Meine Vertrautheit mit dem Nichts, dem Geheimnis.« Sie legte ihre Hand auf meine. »Ich bin mir nicht sicher, ob ich eine saubere, anständige Beziehung führen könnte, mein Engel.« Sie lachte wieder leicht, aber freudlos. »Ich bin für den Trash gemacht! Ich fahr auf Zombie-Nummern ab!«
       Wenn sie einen lebenden Toten suchte, dann war ich der Richtige. Seit Ruanda war ich innerlich abgestorben … Das Rasseln der Macheten, die knisternde Stimme im Radio, die Leichen, die wie Herzschläge unter den Reifen holperten. Und die Frau, die ich nicht retten konnte …
       Ich füllte unsere Gläser und stieß beruhigt mit ihr an. Diese Episode änderte nichts an der Reinheit Manons. Sie mochte sagen, was sie wollte, nichts konnte ihre Unschuld beflecken, auch wenn diese Unschuld ihren Ursprung in einer verhängnisvollen Kindheit und einem furchtbaren Verbrechen hatte. Auch wenn ihre einzige Liebesgeschichte ein Abenteuer mit einem verheirateten Mann war.
       Ich spürte bei ihr etwas Forderndes, Strenges, das ich kannte. Eine Art Klarheit, die nichts mit Jungfräulichkeit zu tun hatte, sondern ihre Kraft aus schlimmen, traumatischen Erfahrungen zog. Ein Streben, ein spiritueller Appell, der seine Schönheit aus dem Kampf schöpfte.
       Plötzlich sagte sie, nach ihrem Mantel greifend:
       »Gehen wir?«
       Wir schlenderten durch den Nebel und schwebten über unseren Körpern. Die ganze Stadt war unwirklich. Gebäude, Denkmäler, Straßen schwebten im Dunst, wie ein riesiges Raumschiff, das in einer Rauchwolke startet.
       Wie spät war es? Vielleicht Mitternacht. Vielleicht später. Aber ich war nicht so betrunken, dass ich die allgegenwärtige Gefahr vergessen hätte. Die Teufelssklaven, die in der Stadt umherstreiften, auf der Suche nach Manon … Ich blickte mich ständig um und spähte in Sackgassen und Hauseingänge. Ich hatte an diesem Abend meine Glock mitgenommen, aber meine Wachsamkeit hatte einen ordentlichen Dämpfer erhalten. Ich betete darum, dass Zamorskis Höllenhunde uns weiterhin beschatteten – und dass sie weniger getrunken hatten als ich.
       Der Weg zog sich ewig hin. Unser Orientierungspunkt waren die Planty, der große Park, der die Altstadt

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