Das Herz der Hoelle
auf den Pavillon 21 – wir waren einmal rund um das Gelände gegangen.
»Bis zu einem gewissen Grad bin ich mit Ihnen einverstanden. Das Aussehen des Teufels in diesen Visionen hängt mit der Vergangenheit der Betreffenden zusammen. Da bricht etwas Verschüttetes, Verborgenes hervor, das ist unübersehbar. Es ist eine individuelle Darstellung des Bösen. Eine subjektive Inszenierung einer Person aus der Vergangenheit. Aber was die Natur des Regisseurs anlangt, bin ich nicht Ihrer Meinung.«
»Was wollen Sie damit sagen?«
»Für Sie ist all das nur eine Produktion des Unbewussten, ein psychisches Trugbild, eine geschlossene Schleife. Ich dagegen bin überzeugt, dass ein äußerer Akteur eingreift.«
Ich erschauerte. Die Kälte, die Dunkelheit – und meine Angst.
»Sie glauben also an einen übernatürlichen Eingriff?«
»Ja.«
»Eher ungewöhnlich für einen Psychiater.«
»Ein Psychiater ist kein Ingenieur, der die Arbeitsweise des Gehirns mit chemischen Vorgängen oder kognitiven Strukturen erklärt. Unser Gehirn ist ein Empfänger. Eine Art Radio. Es empfängt Signale.«
Ich war gekommen, um Hilfe bei einer rationalen Erklärung zu erhalten. Ich war ganz offensichtlich auf dem Holzweg. Er fuhr in geändertem Tonfall fort:
»Ich glaube, dass durch die Übererregung der Neuronen eine archaische Wahrnehmung reaktiviert wird. Dass eine Tür zu einer Parallelwelt geöffnet wird, wenn Sie so wollen. Verkürzt gesagt: eine Tür zum Jenseits.«
Ich war beklommen. Auch ich glaubte an diese Tür. Sie war einer der Schlüssel des christlichen Glaubens. Die Ekstase des Apostels Paulus auf dem Weg nach Damaskus, die Erscheinungen des Franz von Assisi, die Visionen der Teresa von Avila waren nichts anderes als ein Aufblitzen dieses Jenseits.
Zucca fuhr fort:
»Luc hat sich dem Ende genähert, oder? Könnte es nicht sein, dass sein Gehirn in einem Zustand der ›Überempfänglichkeit‹ war und dass er einen flüchtigen Blick auf die andere Welt geworfen hat?«
Die Worte sickerten in mein Bewusstsein und entfalteten dort ihre ganze Bedeutung. Mir dämmerte eine Wahrheit, die schlimmer war als alle anderen. Ich antwortete:
»Verstehe ich Sie recht, dass uns auf der anderen Seite des Lebens ein Dämon erwartet? Oder vielmehr Personen, die uns zu Lebzeiten verhasst waren und die uns im Tod auflauern, um uns in alle Ewigkeit zu peinigen?«
»Die Sitzung heute Morgen lässt diesen Schluss zu, ja.«
»Wissen Sie überhaupt, wovon Sie reden?«
Er starrte mich kalt an.
»Natürlich.«
»Sie sprechen von der Hölle.«
»Von Anfang an hat niemand von etwas anderem geredet.«
KAPITEL 100
Das Narrenschiff.
Ich fuhr auf einem Schiff mit lauter Verrückten, und es gab keine Möglichkeit mehr, es zu verlassen. Von der buddhistischen Richterin über den besessenen Polizisten bis zum visionären Psychiater. Ich fühlte mich allein in diesem Kreis von Wahnsinnigen, und ich klammerte mich verzweifelt an die Vernunft wie an eine Reling mitten im Sturm.
Trotzdem ließ sich das Übernatürliche als Erklärung immer weniger ausschließen. Zucca hatte recht. In gewissem Sinne war es die einfachste Lösung. Ein alter Mann mit leuchtendem Haar. Ein Engel mit mörderischen Fangzähnen. Ein Kind mit blutverschmiertem Körper. Ja, angesichts solcher Kreaturen hatte man allen Grund, sich zu ertränken. Der Teufel und seine Heerscharen stellten die wahrscheinlichste Erklärung dar.
Aber noch widerstand ich. Ich musste eine rationale Erklärung für dieses Chaos finden. Mit heulender Sirene und den Lenker mit den Händen umklammernd, fuhr ich geradewegs ins Zentrum von Paris. In der Nähe von Notre-Dame fuhr ich auf den Pont Saint-Michel Richtung Quai des Orfèvres, als mir eine andere Idee kam. Der Exorzist, Pater Katz, hatte mir am Morgen seine Visitenkarte gegeben. Sein Büro im Zentrum für Exorzismus der Diözese Paris lag nur fünfzig Meter entfernt in der Rue Gît-le-Cœur.
Erneutes Lenkmanöver.
Ich fuhr weiter auf dem linken Seineufer, zu dieser Adresse.
Ich sah wieder den kleinen Mann in Schwarz vor mir, wie er alles ruhig mit Weihwasser besprengte.
Lieber sofort die Liste der Erleuchteten abschließen.
»Der Teufel ist der Gegner«, sagte Pater Katz mit nach oben gestrecktem Zeigefinger. »Das Hindernis. ›Satan‹ leitet sich von der
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