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Das Herz der Hoelle

Titel: Das Herz der Hoelle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jean-Christophe Grangé
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nicht.«
       Er zupfte sich einen Tabakkrümel von der Lippe und nahm dann einen weiteren Zug.
       »Und wieso nicht?«
       Ich hielt die Anspannung nicht länger aus, zog mein Handy heraus und warf einen Blick aufs Display. Keine Nachricht.
       »Erwartest du einen Anruf?«
       Der hämische Tonfall kotzte mich an. Brugen kippte seinen Stuhl nach vorn und stützte sich mit den Ellbogen auf dem Schreibtisch auf. Ich spürte seinen Atem: Kein Hauch von Alkohol. Bei dieser sibirischen Kälte war das fast schon eine Leistung.
       »Wo ist dein Wagen?«
       »Ich habe es Ihnen doch schon gesagt. Ich hatte eine Panne.«
       »Wo?«
       »Auf der Straße.«
       »Von wo bist du gekommen?«
       »Aus Besançon.«
       »Meine Männer haben die Strecke abgesucht, aber keine Karre gefunden.«
       »Komisch.«
       »Und diese Flecken auf deinem Mantel?«
       »Ich bin auf der Straße hingefallen.«
       »In eine Formalinpfütze?«, feixte er. »Du stinkst wie ’n verfaulter Iltis, Freundchen. Du …«
       Das Läuten des Telefons auf seinem Schreibtisch unterbrach ihn. Brugen schien sich an seine Zigarette zu erinnern. Er drückte sie langsam in einem Aluminiumaschenbecher aus und nahm dann gemächlich den Hörer ab.
       »Ja?«
       Mit einem Schlag verschwand sein Lächeln. Sein Teint schlug von Rötlich in Blassrosa um. Einige Sekunden vergingen. Man sah förmlich, wie die Miene des Gendarmen versteinerte. Er stammelte:
       »Wo genau?«
       Dann wisperte er kaum hörbar:
       »Wir treffen uns dort.«
       Er legte auf, starrte einen Moment auf die Oberfläche des Schreibtischs und fing dann meinen Blick auf:
       »Eine schlechte Nachricht.«
       Eine dumpfe Vorahnung schnürte mir das Herz zusammen. Er murmelte, die Augen niederschlagend:
       »Manon Simonis ist tot.«
       Der Gendarm breitete die Arme aus, um seine Überraschung und seine Ohnmacht zu bekunden, dann hielt er mir seine Schachtel Zigaretten hin. Ich nahm seine Bewegungen wie in Zeitlupe wahr. Die Zeit schien stillzustehen.
       Endlich erreichten mich seine Worte.
       »Sie wollte eine Straßensperre auf der D437 in der Nähe von Morteau durchbrechen. Meine Männer haben gefeuert. Ihr Wagen ist gegen eine Lärche geprallt. Ihr Kopf knallte gegen das Armaturenbrett. Ich … Nun …« Er breitete wieder die Arme aus. »Jetzt ist alles vorbei … Wir …«
       Das Folgende hörte ich nicht mehr. Ich wurde ohnmächtig.

KAPITEL 115
    Thomas von Aquin schrieb: » Der Mensch hat Gott erkannt, wenn er erkannt hat, dass er ihn nicht erkannt hat. « Wir beten umso inbrünstiger, je ferner, unergründlicher und unzugänglicher Gott ist. Der Gläubige betet nicht, um Gott zu begreifen. Er betet, um in Seinem Mysterium, Seiner Herrlichkeit aufzugehen. Die Unerträglichkeit des Leidens, das erdrückende Gefühl der Verlassenheit spielen keine Rolle. Im Gegenteil, je weniger man die Wege des Herrn versteht, umso hingebungsvoller betet man zu ihm. Diese Unbegreiflichkeit selbst ist eine Brücke zu Seinem Geheimnis. Eine Möglichkeit, sich in diesem Rätsel aufzulösen, darin seine Auflehnung, seinen Hochmut, seinen Eigensinn zu verbrennen. Selbst in Ruanda, als draußen vor der Tür Macheten auf dem Asphalt rasselten und Schreie gellten, betete ich aus tiefster Seele. Ohne Hoffnung. Wie heute …
       Im Morgengrauen des Samstags hatte ich mein Sprachgedächtnis wiedergefunden.
       Das Glaubensgedächtnis.
       Tatsächlich war dieses Credo ein Versuch, mich benommen zu machen, mir die verlorene Einfalt, Unwissenheit und Demut zurückzugeben.
       Tatsächlich war ich kein Christ, ja nicht einmal mehr ein Mensch. Ich war nur noch ein Schrei. Eine klaffende Wunde, die nie mehr wieder vernarben würde. Ein Häufchen Elend, das Tag für Tag stärker zerfiel. Mein Gebet, meine Worte verschleierten nur notdürftig den Wundbrand, der mich innerlich vergiftete.
       Manon.
       Vergeblich sagte ich, dass das wahre – das ewige – Leben für sie jetzt begonnen hatte und dass ich mit ihr wiedervereint würde, wenn meine Stunde schlug – ich kam einfach nicht über den Verlust hinweg. Darüber, dass uns das irdische Glück gestohlen worden war. Als ich an die glücklichen Jahre dachte, die wir miteinander hätten erleben können, empfand ich einen körperlichen Schmerz darüber, dass mir diese Gnade versagt worden war. Als wäre mir ein Organ oder ein Muskel ohne Narkose entnommen

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