Das Herz der Kriegerin
wäre es lieber, wenn er ganz verschwunden wäre.«
Sayd schüttelte den Kopf. »Wir wollen nie vergessen, wer den Auftrag gegeben hat. Tanneguy hat nur einen Befehl ausgeführt.«
»Sicher, aber wahrscheinlich ist es ihm nicht schwer gefallen.«
»Jedenfalls ist es eine gute Fügung, dass er hier ist. Ich werde mich bei ihm in Erinnerung bringen und ihm ans Herz legen, Jeanne zu unterstützen. Ansonsten …«
Ich saugte scharf die Luft ein, als Jeanne sich rührte. Doch sie schlief weiter – jedenfalls hoffte ich, dass sie uns nicht belauschte. Von einem Mörder würde sie sich bestimmt nicht unterstützen lassen wollen.
Vorsichtshalber wechselte ich ins Arabische. »Willst du ihn umbringen?«
»Nein«, entgegnete er und zog eine seiner Nadeln aus dem Ärmel. »Aber ich kann mir schon vorstellen, dass er es recht unangenehm finden wird, hiermit in Kontakt zu kommen.«
Mit dieser Nadel und einer speziellen Art Gift, das nicht weiter gefährlich ist, in den Adern aber ein furchtbares Brennen hervorruft. Es wäre nicht das erste Mal, dass er es einsetzte …
»Wenn du dich ihm schon ins Gedächtnis rufen musst, solltest du es vielleicht im Guten tun. Wir müssen uns nicht mutwillig einen Feind schaffen, wo eigentlich keiner ist.«
Sayd betrachtete die Nadel einen Moment lang, dann schob er sie mit einem leichten Anflug von Bedauern in den Ärmel zurück. »Wenn du meinst, sayyida .« Ein mildes Lächeln schlich über sein Gesicht. »Wahrscheinlich hätte Gabriel das auch gesagt. Immerhin war er unser Gewissen.«
»Ich war seine Schülerin«, erwiderte ich. Sayd sagte dazu nichts. Einen Moment lang hing er seinen Gedanken nach, dann sagte er: »Vielleicht sollte ich jetzt gleich zu ihm gehen. Immerhin warten wir schon lange hier und ich möchte auch nicht, dass Jeanne weitere entwürdigende Untersuchungen über sich ergehen lassen muss.«
»Aber die Tore der Burg sind verschlossen!«, hielt ich dagegen. »Geh doch morgen zu ihm. In dem Gewirr der Burg wirst du ihn nicht finden.«
»Als ob mich verschlossene Tore jemals abgehalten hätten!« Sayd stieß ein raues Lachen aus. »Und was das Finden angeht, ich habe von meinen alten Künsten keine verlernt.«
Und ebenso wenig würde er sich von mir abhalten lassen. »Also gut, dann geh und versuch dein Bestes. Aber ich bitte dich, lass ihn um Himmels willen am Leben!«
»Das verspreche ich dir, sayyida .« Kurz zwinkerte er mir zu, dann verließ er den Raum, bevor ich ihm ans Herz legen konnte, vorsichtig zu sein.
Seinen Mantel eng um den Körper geschlungen, glitt Sayd hinaus in die Finsternis. Tanneguy sogleich in dieser Nacht aufzusuchen, war ihm spontan eingefallen, nicht so sehr, weil er wollte, dass Jeanne möglichst schnell an ihr Ziel kam, sondern weil ihn in dem Augenblick, als ihm der Name Gabriel über die Lippen gekommen war, eine Flut von Gedanken übermannt hatte.
Gabriel war immer ihr Gewissen gewesen, der sanfte Mann, der es hasste, zu töten, obwohl er beim Ausführen seiner Aufträge äußerst effektiv gewesen war. Gabriel war sein Freund gewesen. Obwohl er Laurina von Anfang an begehrt hatte, hatte er sich ihrer Freundschaft wegen zurückgehalten. Und nun hatte er sich Gabriels Mädchen genommen.
Nicht dass Laurina ihm die gleiche Liebe entgegenbringen würde wie Gabriel. Er spürte recht deutlich, dass auch sie von Begierde getrieben wurde, Begierde, die sie nicht mehr aufhalten konnte. Sie begehrte ihn, sie achtete ihn, auf jeden Fall empfand sie tiefe Zuneigung für ihn – aber war das Liebe?
Und eben, als er Gabriel erwähnt hatte, hatte sie diesen Blick gehabt. Er machte sich nichts vor, ihm hatte dieser zärtliche Blick, dessen sie sich wahrscheinlich gar nicht bewusst war, nicht gegolten.
Und deshalb lief er nun durch die menschenleeren Straßen von Chinon. Was sollte er nur tun? Wie konnte er sie dazu bringen, Gabriel zu vergessen und ihn zu lieben? Wie konnte er das mit seinem Gewissen vereinbaren? In welche Richtung er auch dachte, er kam immer wieder an demselben Punkt an.
Erst als die weißen Mauern der Burg vor ihm auftauchten, drängte er die Gedanken beiseite. Er musste sich jetzt um diesen Hundesohn Tanneguy kümmern.
Sein geübtes Auge fand rasch die Schwachstelle in der Außenmauer, über die er dank des Seils und des Hakens unter seinem Mantel klettern konnte. Natürlich gab es auf der Burg Wachposten, doch die schwatzten am anderen Ende der Mauer, wie er deutlich hörte. So rasch wie möglich kletterte er an
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