Das Herz der Kriegerin
den Weg machen und helfen. So vielen Menschen wie möglich.«
»Dann lasst ihr uns also doch allein.«
»Nicht ganz. Vincenzo wird hierbleiben. Und wir werden nicht lange fortbleiben. Ein paar Monate – bis wir dem englischen König den Feldzug verdorben haben.«
Alix erwiderte mein Lächeln nicht. Ihr Blick wurde noch sorgenvoller.
»Was ist denn?«, fragte ich verwundert. »Sollen wir hineingehen und darüber sprechen? Du bist doch sicher nicht hergekommen, weil du fürchtest, wir könnten bei Nacht und Nebel verschwinden.«
Nachdem Alix noch eine Weile geschwiegen hatte, nickte sie und ließ sich von mir ins Haus führen. Meine Freunde, die neben dem Wagen darauf warteten, endlich abfahren zu können, blickten uns verwundert nach, doch keiner von ihnen machte Anstalten, uns zu folgen.
»Ich habe Träume«, gestand sie, als wir an der langen, sauber geschrubbten Tafel Platz genommen hatten. »Furchtbare Träume. Träume, in denen wir von Soldaten gejagt und unser Dorf gebrandschatzt wird. Und ihr seid nicht da, um uns zu helfen.«
Ihr Blick wurde so flehentlich, dass ich sie am liebsten in den Arm genommen hätte. »Hab keine Angst, unserem Dorf wird nichts geschehen. Sayd hätte das längst gesehen und Maßnahmen ergriffen, glaube mir.«
»Aber gelten seine Vision denn nicht nur den wichtigen Menschen? Menschen, denen Gott beschlossen hat, zu helfen? Was, wenn wir nicht mehr wichtig genug sind?«
Diese Frage schnitt mir ins Herz. Gern hätte ich sie daran erinnert, dass ihr Gott alle Menschen gleichermaßen liebte, doch dann glaubte ich wieder die Schreie der Pariser zu hören, die ermordet wurden, weil sie auf Seiten des Dauphin standen.
»Glaubt mir, euch wird nichts geschehen«, entgegnete ich. »Einer von uns wird hierbleiben und euch beschützen. Du kennst doch Vincenzo, nicht wahr? Er wird dafür sorgen, dass euch nichts geschieht. Außerdem weiß doch niemand von unserem Dorf.«
Das schien Alix auch nicht zu beruhigen. »Er allein kann kein ganzes Heer aufhalten.«
»Alix«, sagte ich, schärfer, als ich es eigentlich beabsichtigt hatte. »Niemand sieht euch als seine Feinde an. Niemand weiß, dass ihr hier seid.« Ich griff über den Tisch und legte meine Hand auf die wie zum Gebet verschränkten Hände von Alix. »Vertrau mir. Und im Notfall wird Vincenzo dafür sorgen, dass ihr in Sicherheit gebracht werdet.«
Als unser Wagen eine halbe Stunde später in Richtung Norden ruckelte, dachte ich über Alix’ Worte nach, über ihre Befürchtung, wir könnten dem Dorf unseren Schutz entziehen. Nie hatten wir vorgehabt, Menschen von uns abhängig zu machen. Und jetzt war genau das geschehen. Sie verließen sich auf uns, hatten Angst, wenn wir nicht bei ihnen waren. Natürlich waren die Katharer ihrem Grundsatz der Gewaltlosigkeit treu geblieben, doch mittlerweile konnten einige Männer sehr gut mit dem Schwert umgehen. Gut genug, um herumstreunende Söldner oder Räuber in die Flucht zu schlagen. Warum hatte Alix solch eine Angst? Eigentlich war sie doch eine sehr ruhige und besonnene Frau …
Ein plötzliches Scheuen der Zugpferde riss mich aus meinen Gedanken. Hatte ich da ein Rascheln vernommen? Den schnellen Atem eines Menschen?
»Hier ist jemand«, raunte ich Sayd zu, der neben mir ritt.
»Habe ich auch schon bemerkt«, entgegnete Sayd, ohne den Blick zu heben. »Zwei sitzen in dem Baum zu unserer Linken, im Gebüsch zu unserer Rechten drei weitere. Jetzt fragt sich nur, ob sie den Mut haben, uns anzugreifen.«
Mut war für Räuber offenbar nicht entscheidend, in dem Augenblick, wenn sie die Beute sahen, nahmen Gier und Selbstüberschätzung von ihnen Besitz. Unser vollbeladener Wagen konnte vielleicht als die Fuhre eines Händlers durchgehen, der sich im Wald verirrt hatte. Dass ein großer dunkelhäutiger Mann und ein waffenstarrender Rothaariger auf dem Kutschbock saßen, begleitet von drei bewaffneten Reitern, schien sie nicht abzuschrecken.
Der erste Pfeil kam von links und verfehlte nur knapp Sayds Kopf. Wäre er ein Mensch gewesen, hätte er dem Geschoss nicht ausweichen können, doch als der Unsterbliche, der er war, lachte er nur über diese unbeholfene Attacke.
»Offenbar wollen die Herrschaften im Gebüsch ein wenig zu unserem Vergnügen beitragen.«
Als sich ein Pfeil in die Flanke meines Pferdes bohrte und es dazu brachte, sich mit einem Schmerzensschrei aufzubäumen, wurde ich ernsthaft böse.
»Kommt raus, ihr verdammten Schweinehunde!«, brüllte ich alles andere als
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