Das Herz der Kriegerin
nach denen die Burgunder ihn längst zu ihrem König hätten krönen können, immerhin war die Hauptstadt des Reiches in ihrer Hand. Was hielt sie zurück? Die Furcht vor ihrem Gott? Immerhin glaubten sie, dass er ihre Könige salben würde.
»Das wird Johann Ohnefurcht klar sein«, entgegnete Sayd ruhig. »Sonst hätte er sich längst die Krone aufs Haupt gesetzt.«
»Wahrscheinlich soll der Dauphin die Krone bekommen, aber er will im Hintergrund die Fäden ziehen. Wie er es schon damals getan hat, bevor er den Onkel des Prinzen getötet hat. Aber jetzt ist Charles kein Knabe mehr, sondern ein erwachsener Mann!«
Nun gut, seit wir den Prinzen fortgeschafft hatten, war ein Jahr vergangen. Doch hatte die Zeit wirklich ausgereicht, um aus ihm einen Mann zu machen? Mein Vater hätte sich über diese Aussage wahrscheinlich köstlich amüsiert, galten bei uns Wikingern Jungen doch erst als Männer, wenn sie einmal übers Meer gesegelt waren, ohne den Göttern über die Reling zu opfern. Der Dauphin war ungefähr im selben Alter wie ich damals, als unser Schiff an der Küste Ägyptens zerschellte, und bereits da hatte ich wahrscheinlich mehr erlebt und gesehen als er heute.
»Und warum seid Ihr hier?«, platzte Tanneguys Stimme in meine Gedanken. »Ihr erwähntet gewisse Umstände.« Misstrauisch wanderte du Chastels Blick zwischen Sayd und mir hin und her.
Ich war mir auf einmal nicht mehr sicher, ob wir diesem Mann von der Gefahr, in der Johann Ohnefurcht schwebte, erzählen sollten, also überließ ich Sayd das erste Wort.
»Wir haben Kunde erhalten, dass die Engländer versuchen könnten, die Verhandlungen zu sabotieren«, antwortete er, was mich nicht überraschte, anscheinend hatte er denselben Gedanken, dasselbe Gefühl wie ich gehabt – dass es Tanneguy egal sein würde, ob der Burgunderfürst starb oder nicht.
Der Stadtvogt riss die Augen auf. »Seid Ihr sicher?«
»Sicher ist nichts auf der Welt, höchstens Gott«, antwortete Sayd ausweichend. »Doch es wäre uns eine große Hilfe, wenn Ihr die Augen offen halten und uns über eventuelle Merkwürdigkeiten unterrichten könntet.«
»Dahinter stecken doch sicher die verdammten Burgunder!«, brummte der Stadtvogt und blickte auf seine zu Fäusten geballten Hände. Sayd legte ihm die Hand auf den Arm.
»Ich glaube nicht, dass die Burgunder an allem Unheil, das über das Land gekommen ist, die Schuld tragen. Sicher, sie mögen mit den Engländern paktiert haben, doch dieser Bund ist gebrochen. Ihr solltet Euren Herrn dazu bringen, die Gelegenheit zu nutzen. Eine Krone unter gewissen Bedingungen ist immer noch eine Krone. Und vereint mit Johann könnte er die Engländer schlagen.«
Du Chastel überlegte eine Weile, dann nickte er knapp. »Also gut, ich werde tun, was in meiner Macht steht – um den Prinzen zu überzeugen und die Verräter zu finden.«
»Dafür wird Euch der Dank Eures Herrn gewiss sein.« Sayd neigte leicht den Kopf. »Ich muss Euch aber bitten, die ganze Angelegenheit vertraulich zu behandeln. Der Prinz darf nichts von den Sabotageplänen erfahren.«
»Natürlich. Ich nehme an, dass Ihr den Saboteur, so Ihr ihn gefunden habt, ganz diskret unschädlich machen werdet.«
»Darauf könnt Ihr Euch verlassen«, entgegnete Sayd hintergründig lächelnd.
Tanneguy musterte ihn aus schmalen Augen. Wieder einmal schien er sich zu fragen, wie wir dazu kamen, uns in die Geschicke seines Herrn einzumischen. Schon als wir ihm offenbarten, dass das Leben des Prinzen in Gefahr sei, war er misstrauisch gewesen. Doch diesmal sparte er sich die Frage und deutete auf den Krug vor sich. »Gewährt Ihr mir das Vergnügen, den Wein mit Euch zu teilen?«
Sayd schüttelte, wie nicht anders zu erwarten, den Kopf. »Habt Dank, aber es ist spät und wir brauchen morgen einen klaren Kopf. Vielleicht solltet Ihr selbst den Wein für den Moment aufheben, in dem Euer Prinz den Thron besteigt.«
Der Stadtvogt ließ ein Brummen vernehmen, dann zog er den Korken aus dem Krug. »Wenn der Dauphin der neue König ist, werde ich etwas anderes bekommen als diesen Rachenputzer. Eine gute Nacht und gehabt Euch wohl!«
»Ihr ebenso.«
Nachdem Sayd mir kurz zugenickt hatte, wandten wir uns um und überließen den Stadtvogt seinem Wein.
Als wir die Herberge ein Stück hinter uns gelassen hatten, fragte ich: »Warum hast du ihm nichts von dem Burgunderfürsten erzählt?«
»Du hast gehört, wie er gesprochen hat.«
»Das habe ich, aber du hättest ihm doch erklären
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