Das Herz der Kriegerin
zeigte.
Es dauerte nicht einmal zwei Tage, bis wir einen Überblick über die in der Stadt anwesenden Engländer hatten. Es waren an die vierzig – Kaufleute, Taugenichtse, Abenteurer und wahrscheinlich auch Spione.
Zudem gelang es Sayd, den ehemaligen Pariser Stadtvogt in einer Herberge nahe des Palais aufzuspüren. Dieser Ort diente Tanneguy als Rückzugsort, wenn er sich abseits seines Herrn und des spärlichen Hofes ein wenig vergnügen wollte. Dieses Vergnügen bestand tatsächlich meist aus einer Frau und einem Krug Wein, doch an diesem Abend fingen wir das Mädchen ab, das die Hurenwirtin zu ihm geschickt hatte, und überbrachten den Wein, dessen saures Aroma ich selbst durch den Ton riechen konnte, persönlich.
Tanneguy starrte uns entsetzt an, als Sayd und ich vor seiner Kammer standen. Unsere blassen Gesichter waren das Einzige, das er in der Dunkelheit sehen konnte, denn unsere Körper versteckten wir unter schwarzen Mänteln.
»Heilige Mutter Gottes!«, rief er aus und bekreuzigte sich rasch. Offenbar hatte er nicht vergessen, dass wir irgendwie anders waren als die meisten seiner Zeitgenossen.
»Seid gegrüßt, Tanneguy«, sagte Sayd freundlich und reichte ihm den Krug. »Es freut mich, Euch wohlauf zu sehen.«
Die Antwort blieb dem Stadtvogt im Halse stecken. Warum eigentlich? Wir waren es doch, die seinen kostbaren Herrn gerettet hatten!
»Ihr!«, rief er fast schon erschrocken aus. »Ich dachte, Ihr wärt längst fort.«
»Das waren wir auch«, antwortete Sayd und schlug dann den Mantel zurück, sodass sein Gegenüber sehen konnte, dass die Dolche noch immer in seinem Gürtel steckten. »Nur zwangen uns die Umstände, wieder zurückzukehren.«
»Umstände?«
»Wenn Ihr die Güte hättet, uns hereinzubitten, würden wir Euch gern alles erklären«, warf ich ein, denn ich hatte keine Lust, weiter auf dem zugigen Gang zu stehen, wo die Türen vielleicht Ohren hatten.
»Aber natürlich, kommt herein.«
Das Zimmer war klein und schäbig, aber offenbar brauchte Tanneguy nicht mehr, um Zerstreuung zu finden.
»Wenn ich mit allem gerechnet hätte, aber nicht damit, dass Ihr hier auftaucht«, brummte der ehemalige Stadtvogt, während er den Kerzenhalter, der neben dem Bett für fahles Licht sorgte, zum Tisch trug. Der flackernde Schein fiel auf sein Nachthemd, das nicht so sauber war, wie es hätte sein sollen. »Nun, was führt Euch her?«
Sayd musterte ihn kurz, dann entgegnete er: »Wie hat Euer Herr es aufgenommen, dass die Engländer Rouen überrannt haben?«
Du Chastel schaute aus der Wäsche, als hätte man ihm gerade eine Maulschelle verpasst. »Wie soll es der Dauphin aufgenommen haben? Mit großem Ärger! Nur leider fehlt es seinen Truppen an Kraft, weil sie noch immer mit diesen verdammten Burgundern zu tun haben.«
»Dann wird es Euch doch sicher erfreuen, dass der Burgunderfürst Friedensverhandlungen mit Eurem Dauphin aufnehmen will.«
Tanneguy wirkte, als müsste er sich sehr beherrschen, nicht vor uns auf den Boden zu spucken. »Dieser Burgunder ist ein falscher Hund! Dass er den Frieden will, muss er erst einmal beweisen. Wahrscheinlich will der meinem Herrn nur irgendetwas abschwatzen oder ihn gar demütigen.«
»Wie steht der Dauphin zu diesem Vorschlag?«, fragte ich, in Erinnerung an den bleichen Jungen, der mich für einen Engel gehalten hatte. »Abseits aller Zwistigkeiten, die er und die Burgunder haben, sollte er doch erkennen, dass ein starker Bündnispartner ihm die Kraft geben kann, den englischen König in die Schranken zu weisen und ihm die eroberten Gebiete auch wieder abzunehmen.«
Tanneguy atmete tief durch. »Natürlich ist mein Herr bereit zu Gesprächen. Was bleibt ihm auch anderes übrig? Nur allzu bald werden diese frechen Engländer versuchen, ins Landesinnere vorzudringen. Und schon jetzt nennt sich dieser angelsächsische Bastard König von Frankreich, obwohl es dafür überhaupt keine Handhabe gibt.«
Mit den dynastischen Verflechtungen des französischen und englischen Königshauses kannte ich mich nicht besonders gut aus, aber ich wusste genug, um zu erkennen, dass die Argumente, mit denen Edward seinen Anspruch auf den Thron begründete, wirklich sehr fadenscheinig waren.
»Allerdings wird der Dauphin sich nur zu irgendwelchen Gesprächen begeben, wenn von vornherein klar ist, dass er wieder nach Paris zurückkehren kann – und zwar als der rechtmäßige König Frankreichs!«
Würde sich Johann darauf einlassen? Ich dachte an Sayds Worte,
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