Das Herz der Kriegerin
es wissen, um erkennen zu können, was Allah mir durch die Vision sagen wollte.«
Das verstand ich nur zu gut.
»Wohin reiten wir?«, fragte ich also, während ich mir das Gras vom Mantel klopfte.
»Der Tross ist nach Bourges zurückgekehrt. Wahrscheinlich feiern sie dort ihren Triumph, ohne zu wissen, wie sehr sie ihrem Volk geschadet haben. Wir werden warten, bis sich alle zur Ruhe begeben, dann werden wir uns in du Chastels Schlafgemach schleichen.«
»Das sich im Palais befindet«, gab ich zu bedenken. »Er wird sicher nicht in die schäbige Herberge gegangen sein und sich mit einer Hure vergnügen, wo sein Herr ihm doch gewiss sehr dankbar für seine Tat ist.«
»Sein Herr …« Sayd stieß ein spöttisches Lachen aus. »Am liebsten würde ich diesem Burschen den Hosenboden strammziehen. Falls er wirklich …«
Ich legte ihm die Finger auf die Lippen. »Wir werden es sehen.« Ich blickte mich zu Belemoth und David um, die auf ihren Decken schnarchten. »Was ist mit ihnen?«
»Ich habe David eine Nachricht hinterlassen. Ob du nun mitgekommen wärst oder nicht, ich wäre dorthin zurückgeritten.«
»Sehe ich so aus, als würde ich mir ein Abenteuer entgehen lassen?« Damit lief ich voran zu den Pferden.
Am Abend des folgenden Tages erreichten wir Bourges. Da die Sonne bereits untergegangen war, hatten die Wächter die Stadttore verschlossen, doch das stellte für uns kein Hindernis dar. Mithilfe eines Seils, das eigentlich immer einer von uns mit sich führte, erklommen wir die Mauer und fanden uns wenig später in der Nähe der Herberge wieder, in der wir vor einigen Wochen zuerst eingekehrt waren.
Von dort aus liefen wir weiter zum Palais, denn gewiss war du Chastel heute dort.
Der Schlosshof war um diese Zeit verlassen. Selbst die Wachposten dösten müßig neben ihren Feuerstellen. Angst vor einem Rachezug der Burgunder schienen sie nicht zu haben. Sie hatten der Schlange den Kopf abgeschlagen. Zweifelsohne würde ihr ein neuer Kopf wachsen, doch bis dahin waren die Burgunder orientierungslos.
»Bist du sicher, dass sie schon wieder hier sind?«, fragte ich, während ich mich zu allen Seiten umsah.
»Natürlich ist er wieder hier. Hast du das Banner auf dem Schlossturm nicht gesehen?«
Wenn es gehisst war, hielt der Dauphin sich hier auf, das stimmte.
»Wo der Herr ist, ist auch der Diener. Wahrscheinlich hat es einen freudigen Umtrunk gegeben, weil ihr Plan so hervorragend aufgegangen ist.«
Sein Ärger über sich selbst war unüberhörbar.
»Komm, wir dürfen keine Zeit verlieren.«
Wir schlichen durch dunkle Gänge, an Türen vorbei und schließlich durch einen großen Saal. Überraschenderweise kannte sich Sayd hier bestens aus. Wann war er hier gewesen? Natürlich war es kein Wunder, dass ich das nicht wusste, immerhin hatte ich in der Küche Töpfe schrubben müssen.
Am Ende eines verwinkelten Ganges machten wir schließlich halt.
»Du meinst, hier ist es?«, wisperte ich leiser, als eine Maus hustet.
»Ich bin mir ganz sicher.« Selbst im Flüstern war sein Groll zu hören. Sayd griff unter sein Gewand und zog eine seiner Nadeln hervor, die ich nur zu gut kannte. Ein Schauer überlief mich, wenn ich daran zurückdachte, wie er sie mir unter den Hals gehalten und mir offenbart hatte, was es mit Gabriel und ihm auf sich hatte. Damals war ich gerade in Gabriels Haus gekommen und hätte mir nie träumen lassen, dass Sayd mich auserkoren hatte, die neue Lamie ihrer Bruderschaft zu werden. Er hatte mich kurz nach einem Bad überfallen, mir Dinge erzählt, die ich eigentlich gar nicht wissen wollte, und von da an war mein Schicksal besiegelt. Gabriel hatte mich vor die Wahl stellen müssen, eine von ihnen zu werden oder zu sterben. Ich war eine von ihnen geworden, eine Schwester unter Brüdern, und mittlerweile wusste ich nur zu gut, dass niemand mit den Nadeln schneller tötete als Sayd. Sayd, der eigentlich nie vorgehabt hatte, mich bei unserem ersten Zusammenstoß ernsthaft zu verletzen.
Ich warf ihm einen warnenden Blick zu, worauf er kurz den Kopf schüttelte. Eigentlich vertraute ich ihm, doch da hatte es vor sehr vielen Jahren den kleinen Zwischenfall mit dem Kapitän des heruntergekommenen Schmugglerschiffs gegeben …
Nachdem wir uns vergewissert hatten, dass niemand in der Nähe war, wandten wir uns der Tür zu, die überraschenderweise unverschlossen war.
Du Chastel schnarchte in seinem Bettkasten, als ob es seine Bluttat nicht gegeben hätte. Dass er noch immer hier war,
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