Das Herz der Nacht
der trotz Fackellicht einen derart kränklichen Teint aufweist? Himmel, wer hat dieses Grün ausgesucht?«
»Vielleicht Ihr Gatte? Mir scheint, dass ihm ein wenig Grün im Gesicht nicht schadet. Ganz im Gegenteil, seine Nase scheint mir heute deutlich blasser.«
Therese lachte und klatschte in die Hände.
»András, wer von uns beiden ist hier boshaft?«
»Wie Sie schon sagten, es ist nichts als die reine Wahrheit!«
András half Therese beim Einsteigen in den schmalen Schlitten, legte ihr eine Felldecke über die Beine und befestigte sie sorgfältig an allen Seiten, dass der kalte Wind nirgends eindringen konnte. Er wollte ihr noch eine weitere Decke um die Schultern legen, doch Therese lehnte ab.
»Wie soll ich mich da bewegen können, um genügend Türken zu stechen! Nein, lassen Sie sie hier. Ich kann sie mir immer noch nehmen, wenn wir das Rennen gewonnen haben.«
András reichte Therese die zehn Lanzen, mit denen sie nach den Köpfen würde stechen müssen, die sie auf ihrer Fahrt passierten. Wie viele Lanzen ihrer Farbe am Ende im Ziel steckten und wie schnell der Schlitten den Parcours gemeistert hatte, war für den Sieg entscheidend. Therese wog eine der Lanzen in der Hand, die natürlich viel leichter war als die Spieße, die die kaiserlichen Fußtruppen mit sich führten.
»Sind Sie bereit?«, fragte András, der auf seiner Pritsche auf alle Felle und Decken verzichtete.
»Ja, bereit für unseren Sieg!«, rief die Fürstin und reckte den Speer in die Luft.
Es waren alle da, die Rang und Namen hatten. Neben den Kinsky und den Windisch-Graetz die anderen hoffähigen Familien Harrach und Sinzendorf, Dietrichstein und Trauttmannsdorf, Esterházy und Daun, Schwarzenberg und Liechtenstein, Visconti und Lamberg. Und auch einige der Erzherzöge und ihre Schwestern beteiligten sich an dem Spektakel. Der Kaiser selbst und seine Gemahlin begnügten sich damit, den Teilnehmern des Karussells eine vergnügliche Fahrt und gutes Gelingen zu wünschen, ehe sie sich in ihrer Kutsche nach Schönbrunn aufmachten. Erzherzogin Sophie und ihr Gatte Franz Karl dagegen hatten in einem bequemen Schlitten Platz genommen, der von vier weißen Kladrubern gezogen wurde. Sie kamen natürlich nur als Beobachter mit und hatten nicht vor, selbst Türkenköpfe zu stechen!
Ihr Sohn Franz Joseph thronte in Uniform und einem pelzgefütterten Mantel mit stolzgeschwellter Brust neben dem Kutscher. Im Schlitten saß auch sein Erzieher, Graf Johann Alexander Coronini-Cronberg, ein Offizier der harten Schule, der seinem jetzt zehnjährigen Schützling seit einigen Jahren Pflichtbewusstsein, Disziplin, Selbstbeherrschung und Pünktlichkeit einimpfte. Alles, was ein zukünftiger Kaiser bis zum Tag seiner Krönung verinnerlicht haben musste – zumindest war das die Meinung seiner Mutter Erzherzogin Sophie, die sich nichts mehr ersehnte, als den Sohn bald auf dem Thron zu sehen.
In dieser Nacht aber war der junge Erzherzog Franz Joseph weder Soldat noch zukünftiger Kaiser, sondern nur ein Knabe, dessen Augen vor Aufregung und Begeisterung leuchteten und der das Spektakel jenseits seines täglichen Drills aus vollen Zügen genoss.
Unter den Klängen der Musikanten setzte sich der Zug der Schlitten in Bewegung. Zuerst würde man langsam durch die Stadt fahren und sich dem Volk zeigen, das sich bereits erwartungsvoll auf den Straßen und Plätzen drängte. Tausende Lampen und Fackeln erhellten inzwischen die ganze Stadt innerhalb des alten Festungsrings, und die Stimmung war ausgelassen wie bei den Kirchweihfesten in der Brigittenau. Das Schlittenkarussell war für jeden Wiener die Gelegenheit, den großen Namen einmal nahe zu kommen, ihre Eleganz und ihren Reichtum zu bewundern oder sich über ihre Extravaganz und ihre Verschwendungssucht das Maul zu zerreißen, wollte man nicht bis zur großen Osterausfahrt im Prater warten. Solch ein Ereignis war bei den Wienern fast so beliebt wie die großen Sommerfeuerwerke im Prater, wenn sprühende Sterne den Nachthimmel in farbiges Feuer tauchten.
András lenkte seinen schwarzen Hengst, den er vor den Schlitten hatte spannen lassen, mit gewohnter Nonchalance. Schadenfroh machte ihn Therese auf einige Gespanne aufmerksam, die jetzt schon zu kämpfen hatten, Pferd und Schlitten unter Kontrolle zu halten. Eine junge Dame stieß einen Schreckensruf aus, als ihr Kutscher den Schlitten beinahe an einem Prellstein umkippte. Die kleine Comtesse konnte sich gerade noch festklammern, als ihr Gefährt einen
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