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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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sie von der Wohnung, in der ihr Bruder seine Wohnräume und sein Musikzimmer mit dem Flügel hatte, hinauf zu den beiden kleinen Kammern unter dem Dach. Den Frack in den Händen kam sie zurück, als ihr Vater sie aufhielt.
    »Blau? Er will einen blauen Frack tragen?«
    »So hat mein liebster Bruder es mir aufgetragen«, sagte Karoline ein wenig gestelzt.
    »Blau? Was ist das für ein dummer Gedanke?«
    »Blau ist die modische Farbe für den Frack in dieser Saison, Papa«, mischte sich Carl Eduard Wallberg ein, der noch immer in Wäsche und Hemd herumlief.
    »Unsinn!« Franz Johann Wallberg stieß seinen Stock auf den Boden. »Du spielst heute Abend nicht in einem Kaffeehaus im Prater, sondern im Theater an der Wien, wo Mozarts ›Zauberflöte‹ aufgeführt wurde und Beethovens ›Fidelio‹ Triumphe feierte. Da wirst du Direktor Bäuerle nicht in einem blauen Frack unter die Augen treten. Heute steht eine Oper von Rossini auf dem Programm, kein Lustspiel, bei dem du dich zum Wurstel machen sollst!«, fügte er erbost hinzu. »Du ziehst einen schwarzen Frack an!«
    Der Sohn fügte sich, schnitt aber eine Grimasse in Richtung seiner Schwester, die ihm nun die schwarze Hose und die passende Frackjacke reichte.
    »Untadeliges Benehmen«, intonierte der Vater und klopfte jede Silbe mit dem Stock den Takt. »Das ist neben deinem Talent das Wichtigste, wenn du dir in Wien einen Namen machen willst. In ganz Europa! Einen Namen, den man nicht wieder vergisst. Der noch so kleinste Skandal kann alles zerstören, was du dir in mühevollen Jahren erarbeitet hast.«
    »Ein blauer Frack wäre da natürlich ein tödlicher Streich«, sagte Carl Eduard leise, doch der Vater verfügte noch über ein exzellentes Gehör und vernahm die Worte, die nicht für ihn bestimmt waren. Er hieb erzürnt auf die geschwungene Holzlehne des Sessels.
    »Du bringst mich mit deinem Leichtsinn noch ins Grab – und dich selbst um deinen Ruhm, den du wohl verdient hättest!«
    »Ach Vater, du bist zu streng mit Carl Eduard«, nahm Karoline ihren um fünf Jahre jüngeren Bruder in Schutz. »Selbst Joseph Haydn, den du so verehrst, hat sich in seinen jungen Jahren den einen oder anderen Scherz erlaubt.«
    »Und was war die Folge?«, rief der Vater mit gerunzelter Stirn. »Der Dom- und Hofkapellmeister Reutter hat den Chorknaben fristlos entlassen!«
    »Trotzdem ist aus ihm ein unvergesslicher Komponist und Virtuose geworden, dessen Werke wir auch dreißig Jahre nach seinem Tod noch bewundern«, fügte Karoline hinzu. »Carl Eduard ist ein guter Pianist und beherrscht seine Violine mit höchster Kunstfertigkeit. Er ist fleißig, und die Kompositionen gefallen. Er wird seinen Weg machen. Also sei nicht so streng mit ihm. Er ist jung, und ein wenig Leichtfertigkeit wird nicht schaden.«
    Schon als sie das Wort aussprach und die Wirkung bemerkte, die es in der Miene ihres Vaters auslöste, wusste sie, dass es ein Fehler gewesen war, doch Worte ließen sich nicht zurücknehmen, genauso wenig wie Taten, und wenn man sie noch so sehr bereute. Der alte Wallberg stürzte sich auf das Wort.
    »Leichtfertigkeit!« Er spie es ihr zu Füßen. »Kann nicht schaden, nein? Willst ausgerechnet du mir das sagen?«
    »So habe ich es nicht gemeint«, widersprach Karoline und sah zu Boden. »Ich habe von Carl Eduard gesprochen und nicht von mir.« Sie fühlte, wie ihre Wangen glühten.
    »Ach, du hast deine Leichtfertigkeit vergessen? Wie schön für dich! Ich werde sie niemals vergessen, zumindest nicht, solange sie mir Tag um Tag in den Augen schmerzt!«
    Tränen in den Augen stürzte Karoline hinaus und lief die Stufen zu ihrer kleinen Dachwohnung hinauf. Der Vater sah ihr erzürnt, der Bruder mit unbehaglichem Blick nach, während er sich mit dem Binden seiner weißen Masche abmühte.
     
    4. Kapitel
    Der Salon der Karoline Pichler
    Durchlaucht, die Kutsche ist vorgefahren«, meldete der Butler durch die geschlossene Tür.
    »Danke Lorenz, bestell Graf Báthory, ich komme, sobald ich fertig bin.«
    Fürstin Kinsky saß umgezogen, frisch frisiert und dezent geschminkt an ihrem Toilettentisch und betrachtete ihr Spiegelbild.
    »Brauchen Sie noch etwas, Herrin?«, erkundigte sich Vesna und ließ den Blick prüfend über den bequemen Ruhesessel mit dem in passendem Stoff bezogenen Fußschemel schweifen, auf dem sie die für den Abend benötigten Accessoires bereitgelegt hatte.
    »Nein, alles bestens.« Die Fürstin machte keine Anstalten, sich zu erheben.
    Vesna runzelte erst

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