Das Herz der Nacht
die Kammerfrau zurückkehrte. Wenn überhaupt möglich, stand ihre Miene noch mehr auf Gewittersturm.
»Und? Hat Lisbeth verschlafen?«, erkundigte sich die Fürstin in ruhigem Ton.
»Nein, zumindest sagt sie das«, gab Vesna zurück.
»Was ist dann?«
»Sie behauptet, sie sei zu schwach, um aufzustehen!« Vesna gab ihrer Empörung freien Lauf. Schwäche! Das war in ihren Augen ein Verbrechen. Zumindest für ihren Stand. So etwas konnten sich nur die Herren und Damen der Gesellschaft leisten.
»Oh Gott, die Influenza?«, rief die Fürstin entsetzt. Die letzte Grippewelle hatte sie zwei ihrer Bediensteten gekostet und sie selbst für drei Wochen ans Bett gefesselt. An solch schlimme Seuchen wie die Cholera, die Wien zehn Jahre zuvor heimgesucht hatte, wollte sie erst gar nicht denken.
»Das glaube ich nicht, Durchlaucht.« Die Kammerfrau schüttelte den Kopf. »Sie hustet nicht, hat keinen Schnupfen, und ihre Haut ist eher kalt als trocken und heiß. Und dennoch kann sie sich nicht auf den Beinen halten. Sie brach auf der Stelle zusammen, nachdem ich sie aufforderte, das Bett zu verlassen.«
Therese konnte sich lebhaft vorstellen, wie diese Aufforderung ausgefallen sein mochte. Die Zofe hatte gehorcht wie die Soldaten ihrem General, wenn er sie aufruft, in die Schlacht zu stürmen.
»Was nur merkwürdig ist, sie muss Blut gespuckt haben, oder vielleicht war es auch Nasenbluten. Ihr Nachthemd ist mit Blut besudelt, und sie kann sich selbst nicht erklären, wie es dort hingekommen ist. Jedenfalls ist es sehr seltsam. Ich habe so etwas noch nicht erlebt.«
Die Fürstin runzelte besorgt die Stirn, während ihre Kammerfrau weitersprach. »Ich habe sie in eine andere Kammer führen lassen. Maja soll ihr zu essen bringen, ansonsten habe ich streng verboten, dass jemand die Kammer betritt, solange wir nicht wissen, um was es sich handelt.« Therese blieb nur, sie für das umsichtige Verhalten zu loben.
»Das gehört zu meinen Pflichten, wenn die jungen Dinger schon so kopflos sind. Und nun entschuldigen Sie mich, ich muss Ihre Garderobe für heute zusammenstellen. Was werden Sie unternehmen? Haben Sie schon entschieden, welche der Einladungen Sie heute annehmen?«
Die Kammerfrau reichte Therese einen Stapel goldumrandeter Karten, die zu Ausfahrten, Empfängen, Theater oder Abendessen luden. Auch ein Hausball im kleinen Kreis der Familie war dabei, was vermutlich bedeutete, dass nicht mehr als fünfzig oder sechzig Gäste anwesend sein würden. Therese überlegte.
»Heute Morgen werde ich mit Leutnant Schönfeld im Prater ausreiten. Er ist ein schneidiger Reiter und ein netter junger Mann! Er kommt um elf, also sag bitte meinem Reitknecht, er soll mir die Rappstute bereithalten. Für den Nachmittag brauche ich vielleicht den Landauer. Ein einfaches Stadtkleid wird genügen. Ich weiß es noch nicht sicher. Und am Abend … hm …«, ein Lächeln huschte über ihr Gesicht. »Ja, ich glaube, ich werde heute dem Salon unserer verehrten Dichterin Karoline Pichler die Ehre geben.« Die Fürstin schlug die Decke zurück und schlüpfte aus dem Bett.
»Durchlaucht!«, rief die Kammerfrau empört, als Therese nur ein Negligé überwarf und durch die Tür in ihren Salon verschwand.
»Mach du nur weiter. Ich komme gleich zum Frisieren«, rief die Fürstin über die Schulter zurück. »Ich muss nur rasch ein Billet schreiben.«
Die Kammerfrau hütete sich zu fragen, für wen das eilige Schreiben bestimmt sei. Vesna gab sich nicht die Blöße, ihre Neugier zuzugeben. Dennoch war sich Therese sicher, dass sie noch ehe die Einladung zugestellt war, in Erfahrung gebracht haben würde, dass dieses zum Palais Fries am Josephplatz bei der Hofburg gebracht werden sollte, bestimmt für den Grafen András Petru Báthory von Brasov.
»Wo ist mein blauer Frack? Hast du ihn etwa in die Putzerei gegeben?« Der junge Virtuose stand nur mit Frackhemd, Weste und Strümpfen bekleidet in der Tür und sah seine Schwester vorwurfsvoll an.
»Natürlich habe ich ihn nicht außer Haus gegeben. Das Mädchen und ich haben ihn heute Morgen ausgebürstet. Er müsste oben hängen. Du musst nur richtig schauen«, fügte sie ein wenig schnippisch hinzu.
»Dann hol ihn mir!«
Karoline Maria Wallberg warf ein wenig trotzig ihre dunklen Locken zurück. Der junge Mann, dessen Gesichtszüge den ihren so ähnlich sahen, seufzte und verdrehte die Augen. »Bitte Schwesterherz, ich muss mich beeilen, sonst komme ich zu spät.«
Mit einem Schulterzucken stieg
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