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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Vielleicht ein Vorgeschmack auf das Fegefeuer.
    Die besseren Zinshäuser dagegen, zu denen auch das große und das kleine Michaelerhaus gehörten, boten in der Belletage großzügige Wohnungen, in die sich gern das wohlhabende Bürgertum oder auch Adlige und fremde Diplomaten einmieteten. In den Stockwerken darüber wurden die Wohnungen dann kleiner, einfacher und günstiger, die Decken niedriger, bis hinauf zu den Dachkammern mit den winzigen Fenstern, die von einfachen Bediensteten bewohnt wurden.
    In Gedanken war András schon im Michaelerhaus in der Wohnung der Wallbergs auf dem Schemel vor dem Flügel, um diesem solch wundervolle Musik zu entlocken, wie es das Fräulein des Hauses und ihr Bruder verstanden.
    Als sich die Tür hinter ihm öffnete, drehte sich András um. Obwohl er in der Vorfreude seiner Gedanken schwelgte, hatte er die Schritte vernommen, seit sie vom oberen Stockwerk über die Dienstbotenstiege näher gekommen waren, obgleich Goran für einen Mensch einen erstaunlich leichten Schritt besaß.
    »Guten Abend, Goran, ich hoffe, du befindest dich wohl«, begrüßte András seinen Diener. Dieser verbeugte sich schweigend.
    »Wenn im Stall mit meinen Rappen alles zum Besten steht, bitte ich dich, das Musikzimmer herzurichten, vor allem den Flügel, denn ich werde mich dem Spiel des Pianofortes widmen.« Falls den Diener diese Ankündigung erstaunte, ließ er sich zumindest nichts anmerken.
    »Wenn du damit fertig bist, kannst du dich zur Ruhe legen. Den Wagen brauche ich heute Nacht nicht.«
    Goran verbeugte sich noch einmal und schloss dann nahezu geräuschlos die Tür. Seine leichten Schritte entfernten sich. Das war umso erstaunlicher, da der Leibdiener und Kutscher des Grafen die Gestalt eines Riesen hatte und massig gebaut war. Seine Art, sich zu bewegen, zeigte allerdings deutlich, dass seine kräftige Gestalt keineswegs einem übermäßigen Genuss von fettem Essen und Wein zuzuschreiben war, wie man es bei so vielen Angehörigen des Adels oder des Bürgertums, das zu Geld gekommen war, beobachten konnte. Goran dagegen war muskulös, stark und gewandt. Seine etwas dunklere Hautfarbe, das schwarze Haar und die dunklen, etwas schräge geschnittenen Augen verrieten seine Herkunft weit östlich von Wien.
    Kaum waren die Schritte des Dieners verklungen, machte sich András eilig auf den Weg. Er warf sich einen Umhang über – nicht dass der Vampir ihn gegen die winterliche Kälte benötigt hätte, doch er bemühte sich, jede Auffälligkeit zu meiden. Wenn es so leicht möglich war, einem Menschen zu gleichen, einfach indem man sich einen Mantel überzog! Viel schwerer dagegen fiel es ihm, seinen Schritt zu mäßigen und so langsam wie ein Mensch einherzuschreiten. Wenn auch zumindest wie ein eiliger Mensch. Dennoch erreichte er das Michaelerhaus nach nur wenigen Minuten, eilte die Treppe hinauf und klopfte an. Ein etwas einfältig wirkendes Mädchen mit der derben Aussprache der einfachen Schichten öffnete ihm und führte ihn ins Musikzimmer.
    András witterte unauffällig nach allen Seiten. Vater und Sohn waren nicht im Haus. Das traf sich gut. Er würde es bedauern, wenn der Vater sich zu ihnen setzte und wie ein Wachhund kein Auge von ihnen ließe. Carl Eduard wäre dagegen weniger störend gewesen. Vermissen würde er ihn allerdings auch nicht. Er war sicher bei einem Auftritt. Hatte der Vater ihn begleitet?
    Sosehr András das Fehlen des Vaters begrüßte, es irritierte ihn auch. Es passte nicht zu der Ablehnung, ja, fast wollte er es Feindseligkeit nennen, die er dem adeligen Klavierschüler am Abend zuvor entgegengebracht hatte.
    András war so mit seinen Überlegungen und dem ihm merkwürdig erscheinenden Fehlen des Vaters beschäftigt, dass ihm die Witterung fast entgangen wäre. Er wollte schon ins Musikzimmer eintreten, als der Geruch sein Bewusstsein streifte.
    Was war denn das? Er gehörte zu keinem der drei Wallbergs und ganz sicher nicht zu dem plumpen Mädchen, das die einzige Bedienstete der Familie zu sein schien. Der Geruch war vertraut und doch so ganz anders. Irritiert blinzelte er. Doch dann stand er bereits mitten im Zimmer, das Fräulein kam ihm entgegen und begrüßte ihn mit ihrer so wunderbar weichen Stimme.
    Natürlich konnte sie ihre Nervosität nicht vor ihm verbergen, aber András bewunderte den durchgedrückten Rücken und den stolz erhobenen Kopf, mit dem sie ihre Haltung wahrte. Ein normaler Mann hätte nichts von ihren quälenden Fragen und Zweifeln bemerkt, so

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