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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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königlich stand sie in ihrem einfachen dunkelblauen Kleid vor ihm. Zurückhaltend, doch vollendet höflich begrüßte sie ihn und bot ihm den Schemel vor dem Flügel an. Obwohl das Blut in ihr aufwallte und ihre Hände zitterten, gelang es ihr, den Eindruck von distanzierter Kühle zu vermitteln.
    Hastig legte Karoline ihre Hände auf die Tasten. András betrachtete die zierlichen Finger mit den gepflegten, kurzen Fingernägeln. Kaum berührten sie das Holz der Tasten, hörte das Zittern auf. András konnte fühlen, wie Ruhe die Hände durchströmte, die Arme und dann den ganzen Körper. Die Starre, die sie aufrecht gehalten hatte, löste sich. Nun sah er ihre natürliche Haltung.
    Das Selbstverständnis, das sie nun vollkommen erfüllte, gefiel ihm. Neben ihm saß eine Künstlerin, die sich ihres Talentes nicht völlig bewusst war, nicht in ihrem Geist. Vielleicht hatten der Vater und ihr Bruder zu oft Zweifel in ihr geweckt. Doch ihr Körper und ihr Instinkt wussten, was sie konnte, und waren bereit, sich auf vollkommene Weise hinzugeben, um sich mit dem Pianoforte zu verbinden.
    »Spielen Sie mir die ›Aufforderung zum Tanz‹«, bat András und rückte ein wenig zur Seite, damit er sie in ihren Bewegungen nicht behinderte, sie aber bei ihrem Spiel beobachten konnte.
    Zart hauchte sie die ersten Töne. Ein Locken, ein Versprechen, das unvermittelt in die Lebenslust des Walzertaktes mündete. Nun blitzten ihre Augen, und ihre Mimik unterstrich die Lebenslust, die der Melodienreigen in jedem Zuhörer aufsteigen ließ. Er näherte sich dem Höhepunkt und sank dann sacht zurück, um in einer ruhigen Klangfolge zu enden.
    Karoline ließ die Hände sinken. Ruhig lagen sie in ihrem Schoß, während ihr Blick sich offen auf den Besucher richtete. Ihre anfängliche Unsicherheit war endgültig verflogen.
    »Weber war der Erste, der dem Walzer diese vollendete Form gab. Er hat dem ›Deutschen‹, wie man die frühen Tänze nannte, das volkstümlich Wilde genommen, ihn erhöht und zu einer neuen Kunst erblühen lassen. Im Ernsten, ja feierlichen Vorspiel wirbt der Tänzer um seine Dame, die erst zurückhaltend reagiert, ihm den Tanz dann aber gewährt. Sein Drängen hören Sie in diesen leidenschaftlichen Melodieläufen.« Karoline wiederholte die Takte. »Ihr Zögern spiegelt sich in der verhaltenen musikalischen Antwort.« Auch diesen Part spielte sie noch einmal. »Dann nimmt er sie bei der Hand, legt ihr die seine um die Taille und führt sie auf die Tanzfläche. Der Walzer beginnt und nimmt alle Bedenken mit sich. Es bleibt nur noch Raum für diese beiden Menschen, die vereint dahingleiten, sich drehen und im Kreis schweben, während ihre Seelen sich voll Lebenslust aufschwingen.«
    Sie konnte die eigene Sehnsucht hinter diesen Worten nicht völlig verbergen.
    »Vier verschiedene Walzermelodien gehen ineinander über, steigern sich zu einem unvergesslichen Höhepunkt. Auch der schönste Tanz geht einmal zu Ende, der Rausch verfliegt. Im ruhigen Nachspiel bringt der Herr seine Dame an ihren Platz zurück und verbeugt sich ein letztes Mal. Dann bleibt ihm nichts anderes übrig, als sich von ihr zu verabschieden.« Die Geschichte war zu Ende. Karoline sah den Grafen fragend an.
    András zuckte zusammen. Er war in einen seltsamen Zustand der Verzückung versunken, sein Blick unverwandt auf ihr Gesicht gerichtet. Sie war so ernsthaft und ganz ohne die Koketterie der adeligen Damen. Wie wohltuend!
    »Ich wünschte, wir könnten es sogleich ausprobieren. Ich würde Sie gerne eine ganze Nacht lang im Walzertakt drehen und mit Ihnen im Rausch der Musik dahingleiten.«
    In Karolines Lächeln schwang Vorsicht. »Sie sind nicht zum Walzertanzen zu mir gekommen, Graf Báthory. Sie wollen das Klavierspiel erlernen. Oder haben Sie es sich anders überlegt?«
    András spürte, dass ein »Ja« sie in tiefe Enttäuschung stürzen würde. Das musste sie nicht fürchten! Er war mehr denn je entschlossen, sich ganz dieser Kunst hinzugeben. Noch dazu unter der Führung solch einer Lehrerin. Er müsste verrückt sein, sich nun zurückzuziehen!
    »Aber nein!«, rief er aus und rückte mit dem Schemel näher heran. »Nichts liegt mir ferner. Beginnen wir! Die Nacht verrinnt, und ich habe diesem Instrument noch keinen Ton entlockt.«
    Ein warmes Strahlen hüllte sie ein. »Gut, dann beginnen wir. Sehen und hören Sie genau zu, dann spielen Sie die Tonfolge nach. Achten Sie darauf, dass Sie die gleichen Finger für jede Taste benutzen wie ich.

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