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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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Menschen getroffen.«
    Karoline öffnete den Mund, um ihn nach seinen Erlebnissen in dieser dem normalen Bürger verschlossenen Welt zu fragen, aber der Graf ließ sie nicht zu Wort kommen und wechselte unvermittelt das Gesprächsthema.
    »Wann darf ich Sie bei einem großen Auftritt bewundern?«
    Karoline schlug die Augen nieder und machte eine wegwerfende Handbewegung. »Ach, Sie wollen mir schmeicheln. Meine Pianokünste reichen für den Hausgebrauch und um ein wenig zu unterrichten. Ich trete natürlich nicht in der Öffentlichkeit auf.«
    »Entschuldigen Sie, dass ich mir anmaße, das zu beurteilen«, widersprach András, »aber Sie sind ein großes Talent, und nach dem, was ich bisher von Ihnen hören durfte, nicht nur begabter als Ihr Bruder, sondern ihm in Ihrem Ausdruck weit überlegen.«
    »Das dürfen Sie nicht sagen!«, rief Karoline schroff. »Er ist ein guter Pianist!«
    »Das habe ich nicht abgestritten. Sie sind dennoch besser, und das wissen Sie auch. Es gereicht Ihnen zur Ehre, dass Sie den jüngeren Bruder über sich stellen wollen, das müssen Sie aber nicht. Er hat bereits Gnade in den Augen der Gesellschaft gefunden und wird seinen Weg gehen. Sie sind es, die ihr Talent nicht in den eigenen Wänden verbergen sollte!«
    »Graf, ich bin eine Frau, falls Ihnen das bislang entgangen sein sollte!«
    András lächelte versonnen. »Nein, das ist mir durchaus nicht entgangen, Fräulein Wallberg.«
    »Dann müssten Sie auch wissen, dass Frauen nicht in der Öffentlichkeit stehen, um Ruhm für ihr Talent zu ernten. Das ist Sache der Männer. Wussten Sie, dass Mozarts Schwester begabt war? Vielleicht ebenso wie ihr Bruder. Wer weiß. Das werden wir nie erfahren. Die Gesellschaft will es nicht wissen.« Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme bitter klang.
    »Sie meinen, das Nannerl hat dem kleinen Mozart die Kompositionen geschrieben?«
    »Nein, natürlich nicht«, rief Karoline empört. »Ich werde niemals Mozarts Genie infrage stellen! Ich behaupte nur, seine Schwester wurde verkannt.«
    »Aber Sie tun es!«, behauptete er, ihre Antwort ignorierend.
    »Was?«
    »Für Ihren Bruder komponieren, nicht wahr? Doch es steht nicht Ihr Name auf den Notenblättern, und nicht Ihnen gilt der Beifall.«
    Sie stritt es halbherzig ab, András war aber weiterhin überzeugt, dass er mit seiner Vermutung richtig lag.
    »Warum treten Sie nicht auf?«, drängte er. »Es muss ja kein Orchester in einem öffentlichen Theater sein.«
    »Weil uns Frauen das nicht ansteht«, wiederholte sie stur.
    »Das ist nicht wahr«, widersprach András. »Kennen Sie die Fröhlich-Schwestern? Katharina, Anna, Josephine und Barbara, die bei wohlangesehenen Familiensoirees musizieren? Ich habe sie bei Karoline Pichler gehört. Es war durchaus ein Genuss.«
    »Ja. Das ist etwas anderes.«
    »Warum?«
    Karoline rang nach Worten. »Die Schwestern Fröhlich stehen irgendwie abseits der Konventionen. Wissen Sie, wie sie leben? Kathi ist seit Ewigkeiten mit dem Dichter Grillparzer verlobt, ohne dass er ihr endlich einen Antrag zu machen gedenkt. Und nun ist er zu ihnen gezogen! Können Sie sich das vorstellen? Ein Mann und vier ledige Frauen? Wer den Anstand so sehr verachtet, der kann auch in der Öffentlichkeit musizieren.«
    »Und dennoch schenkt ihnen die wohlanständige Bürgerschaft ihr Ohr und spendet Applaus.«
    »Mag sein, man kennt auch die reichen und adeligen Verehrer von Tänzerinnen und Schauspielerinnen, die sie aushalten und ihre Karriere vorantreiben. Im Theater werden sie bewundert. Es ist eine andere Welt …«
    »… getrennt von den Schranken der wohlanständigen Bürgerlichkeit, die manches Mal sehr eng gesteckt sind, nicht wahr?«
    Sie starrte ihn betroffen an. Aha, er näherte sich dem wahren Kern, den sie so eifrig vor ihm zu verbergen suchte. András wollte gerade weiterbohren, als etwas seine Aufmerksamkeit gefangen nahm. Er wandte den Kopf ab und starrte aus dem Fenster.
    »Was ist?« Karoline beugte sich zu seiner Seite hinüber, so dass er ihren warmen Atem auf seiner Wange spüren konnte. András zögerte mit der Antwort. Da huschte etwas am Rande seines Bewusstseins. Es ließ sich nicht erfassen, wenn er den Blick nach draußen richtete, doch sobald er sich abwandte, erahnte er die Bewegung in den Augenwinkeln.
    »Ich dachte, ich hätte etwas gesehen«, sagte er langsam und runzelte die Stirn, mühte sich dann aber um ein Lächeln und schlug wieder einen leichten Ton an. »Ein fliehender Schatten, weiter

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