Das Herz der Nacht
Freund? Sie ließ sich in einen Sessel sinken und lehnte den Kopf gegen den zartgelben, gestreiften Stoff. Für sie fühlte es sich so an. Eine ungewohnte, tiefe Verbundenheit, als ob sie seit langem das Band der Freundschaft verbinde, das kein Unbill des Lebens in der Lage wäre zu zerreißen.
Erstaunt musste sie feststellen, dass sie sich erst wenige Male gesehen hatten. Woher kam dann diese Nähe, dieses Gefühl, ihm offen zu vertrauen? Sich einfach so geben zu können, wie sie war, ohne zu fürchten, er könne sie missverstehen oder gar ablehnen?
Aber hatte er nicht genau das getan? Therese sah auf das Schreiben in ihrer Hand hinab.
Nein, er hatte nicht sie abgelehnt. Nur ihre Einladung, und daran war sie selbst ein wenig schuld. Hatte nicht sie selbst ihn an die Wallbergs verwiesen, um Unterricht im Klavierspiel zu nehmen?
Ja schon, aber wer konnte ahnen, dass ihn eine solch übermäßige Musikleidenschaft packen würde, dass er die ganze Nacht zu üben gedachte?
Oder war das nur ein Vorwand, um sie nicht begleiten zu müssen? Therese lauschte in sich hinein.
Nein, Graf Báthory war kein Mann, der nach Ausflüchten suchte. Er war stolz und sich seiner bewusst. Er sagte und schrieb es so, wie es war.
Soll er doch den Tag nutzen, auf den Tasten herumzuhämmern, dachte Therese ein wenig erbost. Dann wäre er am Abend frei und könnte sie begleiten, sie zum Lachen bringen, zum Nachdenken oder Staunen. Er könnte sie von ihrem leeren Leben ablenken, an der Seite eines Mannes, dem sie niemals Liebe entgegengebracht hatte und der sie zunehmend anwiderte.
Therese stand auf, trat vor den Spiegel und streckte sich selbst die Zunge heraus. »Was bist du nur für ein altes, armseliges Weib? Warum zum Teufel sollte er die Last deines Lebens auf seine Schultern laden und für deine Belustigung sorgen? Er, ein junger, attraktiver Graf, der jeder Dame von Adel Gesellschaft leisten dürfte. Ja, wenn du ihn auf den Hofball mitnehmen würdest, könntest du sehen, wie sie nach ihm geifern und ihm ihre Tanzkarten unter die Nase halten, eifrig darum bemüht, nur einmal seine Hand um ihre Taille zu spüren! Natürlich nur, wenn er seine Klavierübungen für so viele Stunden einstellen würde, um einer Einladung zum Ball zu folgen!«
Therese seufzte.
»Ja, warum sollte er das tun?«, fragte sie ihr Spiegelbild. Sie wusste die Antwort und sprach sie aus, wenn auch nur so leise, dass die Zofe, die nebenan ihre Kleider für den Abend richtete, sie nicht hören konnte:
»Weil wir trotz der kurzen Zeit, die wir uns kennen, eine Verbundenheit entdeckt haben, eine Verwandtschaft in der Seele. – Weil wir Freunde sind!«, fügte sie trotzig hinzu.
András lief durch die Nacht. Es war längst nach vier Uhr, doch in den langen Winternächten blieb ihm viel Zeit, bis die Sonne aufging. Den Abend hatte er pünktlich nach Sonnenuntergang im Michaelerhaus mit einer weiteren Lektion am Pianoforte begonnen, doch zu seiner Überraschung keine kühle, selbstbewusste Pianistin vorgefunden, sondern eine verwirrte Frau, die sich nur schwer auf ihren Schüler konzentrieren konnte.
Es bedurfte nur einer Frage, schon sprudelte es aus ihr heraus: das verschwundene Mädchen, die fassungslose Mutter, die beiden Beamten der Polizei, die jeden im Haus befragt und nach den Besuchern der vergangenen Nacht gefragt hatten.
»Ihren Namen musste ich auch angeben«, gestand sie und sah ihn fragend an, vielleicht, ob er auf diese Nachricht ungehalten reagieren würde. Die Herrschaften der Gesellschaft liebten zwar Skandale, aber nicht, selbst in solche verwickelt zu werden. Und ganz sicher mochten sie es nicht, von einem Polizeibeamten wegen eines Verbrechens befragt zu werden, noch dazu, wenn es sich nicht in ihrer eigenen Schicht ereignet hatte.
András ließ sich nicht anmerken, dass ihm das natürlich nicht schmecken konnte. Er gab sich gelassen. Sie brauchte ihn nicht extra darauf hinzuweisen, dass er – sollte wirklich ein Verbrechen geschehen sein – von den Polizeibeamten aufgesucht werden würde. Nun gut, sollten sie ihn befragen. Nur mit einer Vorladung zu den üblichen Dienstzeiten würde es Schwierigkeiten geben. Ob Goran dem Ansturm der Kriminalbeamten gewachsen sein würde? Bestimmt! András war zuversichtlich. Goran stammte von den Zigeunern der Karpaten ab, die sich stets als äußerst robust und erfinderisch erwiesen, wenn es ums Überleben ging. Sie passten sich mit einer erstaunlichen Wendigkeit jeder neuen Situation an. Goran würde
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