Das Herz der Nacht
nicht ahnen, dass seine Söhne die Bank bis in den Bankrott führen würden. Oder etwa doch? War der ungeklärte Tod im Schlossteich auf diese Weise zu deuten?
Diese und ein paar andere Hintergründe erklärte Kommissär Hofbauer seinem Untergebenen, während sie sich auf den Weg zum Josephplatz machten. Hofbauer klopfte so energisch wie kurz zuvor die Gräfin, und auch er bekam es mit dem hünenhaften Diener des Grafen zu tun. Auf den fragenden Blick stellten sich die beiden Kriminalbeamten vor und baten höflich aber bestimmt, den Grafen sprechen zu dürfen. Der Diener deutete auf seinen Mund und verneinte dann.
»Sie sind stumm?«, hakte der Kommissär nach. Der Diener nickte.
»Können Sie wenigstens schreiben?« Erneut ein Nicken.
»Schobermeier, geben Sie ihm Papier und etwas zum Schreiben. – Wie ist Ihr Name?«, wandte sich Hofbauer wieder an den Bediensteten. »Ist der Graf zu Hause? Wir möchten uns mit ihm unterhalten – wenn es möglich ist«, fügte der Kommissär widerstrebend hinzu. Er wusste, wie empfindlich die Herrschaften des Adels oft reagierten, und er wollte es sich nicht schwerer machen als nötig. Wenn der Graf sich weigerte zu kooperieren, konnte er nicht einfach in sein Palais eindringen oder ihn mit einer Polizeieskorte vorladen lassen, um ein Gespräch zu erzwingen. Das ging nur bei einfachen Leuten. Hatte der Kommissär mit Mitgliedern der Gesellschaft zu tun, war oft ein mühsamer Papierkrieg durch alle Behörden nötig, hinauf zur zentralen Polizeihofstelle und dem Oberdirektor Ritter von Sieber oder gar bis zum gefürchteten und gehassten Polizeiminister Graf Sedlnitzky, dem auch die Zensurbehörde mit ihrem gesamten Spitzelapparat unterstand.
Goran schüttelte den Kopf.
»Und wann wird er zurückerwartet?« Hofbauers Ungeduld war weder seiner Stimme noch seiner Miene zu entnehmen, ganz im Gegensatz zu seinem Untergebenen, der daran noch würde arbeiten müssen, wollte er irgendwann einen höheren Posten bei der Kriminalpolizei einnehmen.
Der Diener überlegte, dann deutete er zum Himmel hoch und ließ den Arm langsam in Richtung Westen wandern.
»Heute Abend?« Er nickte.
»Können wir Ihren Herrn im Laufe des Tages nicht anderswo in der Stadt antreffen? Wenn Sie uns bitte die Adresse notieren.«
Goran schüttelte vehement den Kopf. Entweder wollte er den Aufenthaltsort des Grafen nicht verraten, oder dieser weilte im Moment außerhalb der Stadt. So oder so, sie konnten im Augenblick nichts ausrichten, außer dem Diener anzukündigen, dass sie am Abend wiederkommen würden.
»Bitte geben Sie dem Herrn Graf Bescheid. Es wäre sehr freundlich, wenn er uns dann empfangen und ein paar Fragen beantworten könnte«, fügte Kommissär Hofbauer mit bewundernswertem Gleichmut hinzu, tippte sich an seinen Hut und machte sich dann auf den Rückweg, Schobermeier an seiner Seite, der im Gegensatz zu seinem Vorgesetzten seinem Unmut über den Adel und seine Privilegien freien Lauf ließ. Er redete sich in Fahrt, bis sie das große, graue Haus erreichten, in dem die Zivil-Polizeiwache untergebracht war, der die Verbrechensbekämpfung in der Stadt und ihren Vorstädten oblag. Die vierundsechzig Kriminalbeamten unterstanden dem Wiener Magistrat. Unter ihrer Obhut befand sich auch das Polizeigefangenenhaus zwischen Salzgries und Sterngasse. Das düstere Gebäude des aufgelassenen Siebenbüchnerinnenklosters nannten die Wiener nach seiner Adresse nur scherzhaft Hotel Stern.
»Wenn wir ihn erst einmal in die Finger bekommen, dann werden wir ihn schon knacken«, prophezeite Schobermeier und ließ drohend die Fäuste spielen.
»Erstens wissen wir nicht, ob er mit den Verbrechen überhaupt etwas zu tun hat, und zweitens ist das bei einer einfachen Befragung mit der Überführung nicht so einfach.«
Schobermeier brummte mit düsterer Miene vor sich hin. »Im Hotel Stern würde ihm der Widerstand schnell vergehen! Das hat die Erfahrung gezeigt.«
Da konnte der Kommissär seinem Untergebenen nicht widersprechen, denn obwohl schon Kaiserin Maria Theresia die Folter stark eingeschränkt hatte, blieben der Polizei genügend Mittel, eine störrische Zunge zu lösen – bei den normalen Verbrechern, die nicht von Adelsstand waren.
Schobermeier hob die Schultern. »Ach was«, widersprach er. »Den Severin von Jaroschinski konnten wir auch bekommen, und er hat am Ende sein Leben an einem Strang bei der Spinnerin oben ausgehaucht. Und der war immerhin ein Edelmann aus Polen oder Russland.«
Das war
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