Das Herz der Nacht
Einladung abzulehnen. Manchmal sind mein Name und der Titel nicht unpraktisch. Doch nun kommen Sie in den Zuschauerraum. Ich muss Sie unter den Pöbel setzen, denn das gehört zu diesem Spiel.«
András lächelte sie von der Seite an. »Und was lässt sich der Bürger dieses Spektakel kosten?«
»Sie wollen jetzt doch nicht etwa über Eintrittspreise reden?«, wehrte sie ab.
»Gehe ich recht in der Annahme, dass Sie es ihnen recht teuer gemacht haben?«
»Ganz abscheulich teuer!«, bestätigte Therese. »Doch was bekommen sie dafür geboten?«
»Eine höchstens mäßig zu nennende Theateraufführung, die es nicht einmal mit den kleinsten Vorstadtbühnen aufnehmen könnte?«, schlug András vor. »Von solch Theatern wie das an der Wien oder in der Leopoldvorstadt mit seinen beeindruckenden Mimen gar nicht zu reden.«
Die Fürstin versetzte ihm einen Klaps mit ihrem Fächer. »Nein, Herr Graf, sie bekommen das Vergnügen, sich einmal in unsere Welt versetzt zu fühlen. Sie dürfen mit ihren Fiakern und Coupés das Augartentor passieren und durch den Park bis vor den Palast rollen. Sie steigen die Stufen empor, werden von Lakaien empfangen und mischen sich zwischen Fürsten und Gräfinnen, Barone und Comtessen und vielleicht sogar den ein oder anderen Erzherzog oder eine echte Prinzessin!«
»Da wird das Stück auf der Bühne zur Nebensache.«
»Sie sagen es, lieber András!« Vergnügt schob sie ihn auf einen Platz neben zwei junge Mädchen, die wohl mit Vater und Mutter gekommen waren. Er neigte das Haupt in ihre Richtung, worauf sie die Hände vor die Münder pressten und ein nervöses Kichern unterdrückten. Sie waren recht hübsch anzusehen, auch wenn ihre Kleider vielleicht ein wenig zu üppig dekoriert waren. Die Mutter rief die Mädchen zur Ordnung, während der Vater den Gruß mit guter Haltung und sichtlichem Stolz erwiderte. Ein Kaufmann oder Bankier?
Auf der anderen Seite der Familie erkannte András einen jüngeren Vetter des Grafen von Dietrichstein und neben ihm General Pálffy. Vor ihm nahm die junge Comtesse von Starhemberg Platz mit ihrer angeheirateten Cousine aus dem belgischen Haus Arenberg. Die Herrschaften daneben waren wieder dem aufstrebenden Bürgertum zuzuordnen – oder, falls sie es geschafft hatten, einen Titel zu ergattern, dem neuen Geldadel.
Einige der Leuchter im Zuschauerraum wurden nun gelöscht, so dass das Licht auf der Bühne noch heller zu strahlen begann. Ein erwartungsvolles Raunen eilte durch den Saal, als Fürstin Kinsky auf die Bühne trat, die Gäste begrüßte und allen für das Engagement im Sinne der guten Sache dankte. András lehnte sich in seinen bequemen Sessel zurück und betrachtete Therese. Sie sah gut aus. Ihr Kleid war in seiner Farbe und seiner raffinierten Schlichtheit gut gewählt. Es verlieh ihr einen fast jugendlichen Teint und betonte ihre große, schlanke Figur. Man sah ihr nicht an, dass sie die Mitte der vierzig bereits überschritten hatte. Sie vermied den Fehler vieler Matronen, die kaum älter waren als sie, in ihren üppigen Samtstoffen und Straußenfedern jedoch dicker und älter wirkten, als sie es waren, und irgendwie den muffigen Eindruck ausgestopfter Vögel hinterließen. András war es, als könne er Staub schmecken, wenn er an der alten Gräfin Wilczek vorbeiging oder der Mutter von General Collalto. Und auch die Fürstin Esterházy verbreitete diesen Geruch von Moder und Verfall, obgleich sie noch gar nicht so alt war.
András konzentrierte sich wieder auf Fürstin Kinsky und spürte, wie bei diesem Anblick Lust in ihm aufstieg. Er würde sich irgendwann entscheiden müssen, ob er sich weiter als ihr Freund fühlte oder ob er dem wachsenden Verlangen nachgeben wollte.
Unterdessen hatte die Fürstin ihre Ansprache beendet, verließ anmutig die Bühne und gab sie für die Darsteller frei. Der Familienvater beugte sich über das Programm und raunte seinen Damen die erlauchten Namen zu, die im ersten Bild zu sehen sein würden.
András begriff schnell, dass es sich nicht um ein richtiges Theaterstück oder gar ein Singspiel handelte, das den Darstellern doch einiges Können und eine gewisse Textsicherheit abverlangt hätte.
Damals, zu Zeiten Maria Theresias, hatten Familienaufführungen der kaiserlichen Familie den jungen Erzherzoginnen durchaus abverlangt, den Text nicht nur flüssig vorzutragen, sondern auch noch ganz liebreizend bei diesen Familienopern zu singen und zu musizieren.
Das, was heute hier auf die Bühne kam, konnte
Weitere Kostenlose Bücher