Das Herz der Nacht
man eher als einzelne Bilder bezeichnen. Die Kinder aus den Fürsten- oder Grafenhäusern waren lieblich anzusehen, wenn auch ihr tänzerischer Ausdruck nicht in jedem Fall grazil zu nennen war. Die Herren und Damen des Adels rezitierten kürzere Passagen, und für die schubertschen Lieder war die Fürstin so rücksichtsvoll gewesen, einen richtigen Sänger zu engagieren. Man spendete höflichen Applaus und drängte sich dann in der Pause wieder hinaus, um zwischen den hohen Namen zu lustwandeln, was, so schien es András, für den Bürger das wahre Vergnügen des Abends darstellte.
Therese gesellte sich mit zwei Gläsern Champagner zu ihm und reichte ihm eines. András dankte und tat so, als nippe er zumindest davon. In seinen frühen Zeiten als Vampir hatte er durchaus versucht, Wein oder andere Getränke zu sich zu nehmen und sogar den ein oder anderen Bissen, aber das war ihm stets schlecht bekommen, und so feilte er nun an der Illusion und wurde zum Meister, Getränke und ganze Mahlzeiten unauffällig verschwinden zu lassen.
»Auf Ihren Erfolg, Therese! Wie ich gesehen habe, ist der Theatersaal bis auf den letzten Platz gefüllt.«
Sie nickte. »Ja, ich habe es auch bemerkt, obwohl der Fürst mir prophezeite, ich würde mit dieser lächerlichen Idee untergehen wie ein leckgeschlagenes Boot.«
»Dann ist er nun sicher mit Recht stolz auf seine Gattin.«
»Das glaube ich nicht. Vermutlich ärgert er sich nur darüber, nicht recht behalten zu haben!«
András sagte nichts dazu. Er dachte an die blauen Flecke am Handgelenk der Fürstin, die sie bei ihrer nächtlichen Ausfahrt unter ihren Lederhandschuhen zu verbergen gesucht hatte. Ihre Blicke wanderten zu Fürst Kinsky, der mit einer Leidensmiene neben der Fürstin Windisch-Graetz stand und ihrem Wortschwall standhielt. Dass er ihr zuhörte, bezweifelte Therese. Und so wunderte es beide nicht, dass er die erste Gelegenheit nutzte, sich davonzumachen. Er steuerte auf den jungen Leutnant Graf Schönfeld zu, der, seit bekannt geworden war, dass Radetzky ihn in seine Ordonnanz nehmen wollte, in der Achtung des Fürsten so gestiegen war, dass er ihn bemerkte und einige Worte mit ihm wechselte. Vielleicht griff er aber auch nur nach dem Strohhalm, um dem Redeschwall der Windisch-Graetz zu entfliehen, überlegte Therese laut und beobachtete die beiden Männer mit eifersüchtigem Blick.
»Es gefällt Ihnen nicht, dass sich die beiden unterhalten«, stellte András ein wenig verwundert fest.
Therese hob die Schultern. »Ich weiß, was für ein unangenehmer Mensch er sein kann, wenn er auf jemanden herabsieht, und ich möchte nicht, dass er den jungen Leutnant kränkt.«
András hob die Augenbrauen. »Ah, Ihnen liegt an dem jungen, hübschen Mann.«
Therese zog finster die Augenbrauen zusammen. »Wagen Sie nicht, so etwas auch nur zu denken, sonst werde ich Sie nicht mehr Freund nennen!«
András sah die Blicke, die der junge Mann zu ihnen herüberwarf, während er dem Fürsten auf eine Frage antwortete. András trat noch ein Stück näher und raunte Therese ins Ohr:
»Was darf ich nicht denken? Dass er ein fescher Bursche ist und Sie eine Frau, die es nicht verdient hat, an einen mürrischen Fürsten gekettet zu sein, der Sie nicht gerade zartfühlend behandelt? Dass auch eine Frau das Recht hat, sich nach Zärtlichkeit und Leidenschaft zu sehnen?«
András sah, wie ihr Gesichtsausdruck und die Farbe ihrer Wangen rasch wechselten. Es dauerte eine Weile, bis sie ihr Gleichgewicht wiederfand.
»So in etwa! Der Leutnant ist ein guter Reiter, der einen flotten Galopp schätzt und nicht in Begleitung einer Dame zum Langweiler wird!«
»Nun, dann hoffen wir, dass Ihr Gatte den Reitkompagnon nicht vergrätzt.«
»Ja, das wollen wir hoffen«, sagte sie mit so viel Würde, wie es ihr möglich war. »Er würde mir fehlen – genauso wie Ihre Gesellschaft und unsere Lehrstunden im Kutschieren mir fehlen würden, sollte ich sie einst entbehren müssen! Etwas anderes zu erwarten liegt mir fern«, fügte Sie mit unnötiger Schärfe hinzu.
András kam ihr noch näher, so dass sein Atem ihre Wange umwehte und ihr Ohr streifte. »Welch ein Jammer, dass der Fürst die edle Gesinnung und Treue seiner Gattin nicht zu schätzen weiß.«
Und damit verabschiedete er sich und ging davon, um dem Fürsten den Platz an der Seite seiner Gemahlin zu überlassen.
»War das nicht schon wieder dieser Graf Báthory?«, fragte er sie in dem unwirschen Tonfall, der ihm anscheinend schon
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