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Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
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gefasst? Seltsame Theorie. Ich dachte immer, gerade das führt die Kriminalpolizei auf die Spur der Verbrecher.«
    »Warum kenne ich ihn nicht?«, brummelte Schobermeier.
    »Nun, im Hotel Stern ist er vor Ihrer Zeit eingesessen, und dann hat er sich eine Weile in Melk und dann in Linz versucht. Nun scheint er mit neuen Hoffnungen nach Wien zurückgekehrt. Und da müssen Sie ausgerechnet mir über den Weg laufen. Sagen Sie, Grossler, damit haben Sie wohl nicht gerechnet?«
    »Nein«, brummte der Angesprochene finster. »Ich dachte, man habe Sie längst in Pension geschickt.«
    »So alt bin ich noch nicht, da muss ich Sie enttäuschen«, gab Hofbauer mit gespielter Liebenswürdigkeit zurück, dann wurde seine Stimme streng. »Abführen! Mal sehen, was er dieses Mal hier in Wien alles angestellt hat.«
    Obwohl Schobermeier enttäuscht war, setzte er eine dienstmäßige Miene auf und packte den Mann am Kragen.
    »He, ich habe gar nichts angestellt. Ich komme, um als Zeuge bei der Aufklärung dieser Morde zu helfen. Sie müssen sich Graf Báthory vornehmen. Sehen Sie sich einmal in seiner Küche um, da werden Sie etwas Interessantes finden! Hören Sie auf mich, durchsuchen Sie das Palais, und Sie werden noch ganz andere seltsame Dinge bemerken!«
    »Aha, und woher wissen Sie das? Hat der Graf Sie eingeladen und eine Führung von der Küche bis in seine Gemächer mit Ihnen veranstaltet? Seltsam, dass ich das nicht glauben kann. Eine andere Möglichkeit dagegen scheint mir sehr plausibel. Sie sind doch nicht etwa ins Palais Fries eingebrochen? Nein, so etwas, Grossler, das bringt Ihnen gleich noch ein paar Monate in unserem gemütlichen Hotel Stern ein.«
    »He, das können Sie nicht machen«, rief Jakob Grossler empört. »Sie können mir gar nichts beweisen. Ich habe nichts Wertvolles mitgenommen. Mich hat keiner gesehen, und ich habe auch nichts von mir selbst zurückgelassen, also lassen Sie mich gehen!«
    Der Kommissär grinste. »Nichts zurückgelassen und nun festgesetzt? Vielleicht ist Ihr Aberglaube gar nicht so falsch? Das müssen Sie das nächste Mal vielleicht noch einmal ausprobieren. Allzu schnell werden Sie dazu allerdings keine Gelegenheit erhalten. Im Moment sehe ich für Ihre weitere Karriere sehr schwarz. Schobermeier, bringen Sie ihn in eine Arrestzelle!«
    »Und was machen wir mit dem Grafen?«, hakte der Kriminalbeamte nach, ehe er Grossler hinausschob.
    »Nachdem er bisher noch nicht freiwillig zu uns gekommen ist, werden wir ihm ein wenig auf die Pelle rücken müssen!«
    Karoline Maria Wallberg durchquerte den Salon. Sie trat ins Musikzimmer und schlug ein paar Tasten an, konnte sich aber nicht durchringen, auf dem Hocker Platz zu nehmen und einige Stücke zu spielen. Stattdessen durchmaß sie wieder das Zimmer, trat in den Salon, passierte den Flur und ging in die Küche. Sie tat so, als kontrolliere sie, ob das Mädchen die Töpfe und Pfannen ordentlich gescheuert habe, doch ihre Gedanken weilten woanders. Sie waren im Musikzimmer, und so folgte Karoline ihnen nach.
    Erinnerungen konnten grausam sein, das wusste sie. Nicht gewusst hatte sie, dass auch schöne Erinnerungen quälen konnten. Wenn sie eine Sehnsucht entfachten, die niemals wieder erfüllt werden würde.
    Karoline sah auf die Tasten herab, auf denen noch vor wenigen Stunden seine Finger geruht und sie kraftvoll angeschlagen hatten. Zum letzten Mal.
    Mit einem Ruck drehte sie sich um und kehrte zum Fenster zurück, so als könne sie den Anblick des Flügels und des leeren Hockers nicht ertragen.
    Karoline sah auf die dämmrige Gasse hinunter und auf den Michaelerplatz. Das Knirschen der Fiakerräder, den Ruf der Kutscher und das Schlagen der Kirchturmglocke drang zu ihr herauf, aber sie vernahm die Geräusche nicht. In ihrem Innern hörte sie eine tiefe, betörende Stimme und lauschte den Melodien, die sie zusammen dem Pianoforte entlockt hatten.
    Vorbei. Für immer vorbei. Er hatte ihrem Dasein, das seit vielen Jahren so grau und eintönig dahinglitt, plötzlich Farbe gegeben und Leben, Vorfreude und Träume, die nicht von Schrecken erfüllt wurden. Warum nur musste es enden? Sie fühlte sich unendlich einsam, obwohl sie auch früher oft allein hier gewesen war. Jetzt war irgendetwas anders. Ihr Vater lag noch im Spital, Carl Eduard war wie üblich fort, um bei einer Gesellschaft zu spielen. Er würde Erfolg haben, bejubelt und umschwärmt werden. Sie wusste es, denn er trug die neue Komposition bei sich, die sie erst am vergangenen

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