Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Das Herz der Nacht

Das Herz der Nacht

Titel: Das Herz der Nacht Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Ulrike Schweikert
Vom Netzwerk:
beschwert, dass ihnen diese Aufmerksamkeit zu Kopf gestiegen sei und dass manche von ihnen darauf bestehen, samt ihrer Mütter wie eine Dame der Gesellschaft von einem Fiaker abgeholt und nach dem Ball auch wieder nach Hause gebracht zu werden. Und wenn wir schon von den Kutschen und ihren virtuosen Kutschern reden: Auch auf dem Fiakerball ist so mancher Herr zu sehen, der seinem langjährigen Fiaker und Kumpan die Ehre gibt. Wenn so ein Fiaker als Unnummerierter die ganze Saison gemietet wird, wird der Kutscher schnell zum Begleiter durch alle Höhen und Tiefen.« Seine Stimme klang zwar ein wenig spöttisch, aber etwas Wahres war schon dran.
    »Ja, es ist ein Privileg, das Bequemlichkeit schafft, einen Fiaker auf Dauer anzumieten und sich nicht für jede Fahrt auf der Straße einen suchen zu müssen«, räumte Karoline fast ein wenig sehnsüchtig ein. Sie trank die Tasse leer und ließ den Blick durch den prächtigen Salon schweifen. Der Augenblick währte nicht lange, da sie sich der angenehmen Atmosphäre hingab. Strenge und Disziplin, denen sie sich ihr Leben lang hatte unterordnen müssen, ließen es nicht zu, dass sie sich in Träumereien verlor. András sah, wie sie den Rücken straffte, als sie die Tasse auf den Servierwagen zurückstellte. Natürlich gönnte sie sich auch kein weiteres Stück Süßigkeit, während Sophie ungeniert zugriff.
    »Wollen wir noch eine andere Übung beginnen?«, fragte Karoline, sich nun wieder ganz ihrer Pflicht bewusst. Sie war ja schließlich hier, um ihn zu unterrichten, und konnte sich nicht wie die Damen der Gesellschaft, die es nicht nötig hatten, Geld zu verdienen, dem Müßiggang hingeben!
    András stimmte ihr zu, und so machten sie sich an die Variation einer einfachen Melodie, deren wandelnder Rhythmus den Schüler vor immer neue Aufgaben stellte. Solange nur eine der Hände eine Aufgabe erhielt, war es recht einfach, doch im Zusammenspiel oder besser gesagt, im Spiel der beiden Hände gegeneinander, zeigte sich die Herausforderung. Man musste lernen, sie unabhängig voneinander zu bewegen, so dass jede ihren eigenen Rhythmus fand und sie sich doch ergänzten.
    »Damit haben die meisten am Pianoforte zu Anfang ihre Schwierigkeit. Sie müssen lernen, immer mehr Noten, eigentlich ganze Passagen mit einem Blick zu erfassen – in Melodie, Rhythmus und Ausdruck. Und das eben auf beide Hände aufgeteilt. Versuchen Sie diese beiden Zeilen ein weiteres Mal«, forderte Karoline ihn auf.
    András prägte sich die Noten noch einmal ein, dann begann er zu spielen. Karoline lobte ihn, als er geendet hatte. »Das war schon sehr gut!«
    »Nein, war es nicht«, widersprach András. »Hier habe ich ein G statt einem A angeschlagen, und in dieser Passage hat der Rhythmus nicht ganz gestimmt. Dieses C hätte ich erst kurz nach dem E in der Oberstimme anschlagen dürfen und nicht gleichzeitig! Es war alles andere als perfekt!« Es war ihm bewusst, dass seine Stimme laut geworden war und harsch klang, ganz anders, als es Karoline bisher von ihm gewohnt war, doch er konnte nicht anders. Seine Augen bohrten sich in die ihren, so dass sie unwillkürlich ein Stück zurückwich. Dennoch lächelte sie und legte ihm die Hand auf den Arm.
    »Nein, perfekt war es nicht, Graf, und ich sehe, auch Sie werden sich mit nichts Geringerem zufriedengeben. Das ehrt Sie, und ich kann Ihre Erregung nachfühlen. Ich empfinde ebenso und bin schon viele Nächte am Piano gesessen, bis ich mit einer Passage endlich zufrieden sein konnte.«
    Er begegnete ihrem Blick. Trotz ihres Lächelns überwog die Strenge, die sie in jahrelanger Disziplin erworben hatte. Leichtfertige Fröhlichkeit, wie sie andere junge Frauen in diesem Alter ausstrahlten, fehlte ihrem Wesen. Oder hatte das Leben es ihr ausgetrieben? András fühlte plötzlich den Wunsch, es zu ergründen. Er versuchte sich vorzustellen, wie sie mit einer der kecken Lockenfrisuren aussehnen würde, einen Hut mit breiter Krempe, Schleifen und Federn dazu. Oder in einem der farbenprächtigen leichten Seidentaftkleidern, die den Teint einer jungen Frau zum Strahlen brachten.
    »Worüber denken Sie nach? Die erste Passage? Ja, sie ist im Rhythmus nicht einfach. Wollen wir sie noch einmal gemeinsam spielen?«
    Die großen, dunklen Augen. Das fein geschnittene Gesicht in strenger Konzentration. Nein, er konnte sie sich nicht wie die anderen Frauen vorstellen. Und doch … Es wäre ein Versuch, es einfach mal zu probieren.
    »Ja, spielen wir das Stück noch

Weitere Kostenlose Bücher