Das Herz der Ozeane - Honky Tonk Pirates ; Bd. 5
ignorierte den Schmerz, stemmte sich in die Höhe, umfasste sein Schwert mit beiden Händen und griff sie wie ein Berserker an.
»Ich will es verstehen. Los, sag es mir, los.«
Er traf ihre Lanze, er sprengte die Klinge. Er zerschlug ihren Schaft. Er stieß das Mädchen zu Boden, umfasste die Schwertspitze mit beiden Händen und schlug mit der Parierstange wie mit einem Schlaghammer zu. Die Maske zerbarst und für den Bruchteil einer Sekunde schien es Will, als ob auch Aweikus Gesicht bersten würde.
»Warum willst du mich töten!«, schrie er verzweifelt.
Da blickte sie ihn unversehrt an. Er sah ihre Augen. Die waren graugrün. So grün wie der Ozean.
»Ich will dich nicht töten«, sagte das Jaguarmädchen. »Ich wecke dich nur.«
»Aber ich träume doch nicht«, widersprach Will energisch. Doch dann kamen ihm Zweifel. »Oder passiert das hier alles nicht wirklich? Lieg ich auf Rum Bottle Bottom und schlafe?«
»Das habe ich damit nicht gemeint!« Aweiku stand langsam und vorsichtig auf. »Ich rede von dir. Du musst aufwachen, Will. Und du musst endlich aufhören, dir zu wünschen, jemand anders zu sein. Oder größer und älter. Du bist, wer du bist. Und wenn du nicht stark wärst, hättest du mich nicht besiegt. Vertrau dir doch einfach.«
Sie trat auf ihn zu und war ihm so nah, dass ihr nasses und hüftlanges Haar seine Haut berührte.
»Wenn du Hannah wärst und ich Will, wie könnte ich dir dann meine Liebe beweisen? Mit einem Beutel voll Dreck oder indem ich mich dir zu Füßen lege? Mit all meiner Kraft, meinem Stolz, meiner Würde und dem unbändigen Wunsch mit dir in Freiheit zu leben?« Sie legte die Arme um seinen Hals.
»Was meinst du, was ist der größere Schatz? Was würdest du tun, wenn ich dir den Beutel brächte und dann käme Nat mit einem ganzen Sack. Oder was ist mit Chens Drachenring? Ist er nicht noch mehr wert als unsere Erde, wenn er dich unbesiegbar macht?«
Tränen flossen über seine Wangen.
»Komm«, sagte sie und nahm seine Hand. Sie führte ihn aus der Höhle und durch den Dschungel zum Strand.
»Erinnerst du dich noch an unseren Abschied, Will? Du hast mir versprochen, dass du Träume wahr werden lässt. Dann begreife jetzt endlich, dass du der Traum bist. Will, du bist der Traum, den die ganze Welt träumt. Du musst nur den Mut haben, ihn wahr werden zu lassen.«
Sie strich ihm zärtlich über die Wangen.
»Kanaloa! 1 «, sagte sie. »So hab ich dich schon vor Jahren genannt. Also, leb wohl. Iho-ha verabschiedet dich.«
1 Friedensbringer
Sie schob ihn vorsichtig ins Wasser. Will watete ein paar Meter weit und sah sich noch einmal zu ihr um. Er war sprachlos und dankbar, doch er spürte gleichzeitig eine riesige Angst.
»Jetzt geh schon!«, befahl sie. »Und hab keine Angst vor der Angst. Die wirst du nur los, wenn du sie respektierst. Lebe mit ihr. Das müssen wir alle. Jeder von uns, denn sie macht uns stark.«
Da sprang er ins Wasser und tauchte nach Rum Bottle Bottom zurück.
MIT LEEREN HÄNDEN
ill tauchte hinab in die Tiefe des Meeres. Zehn, fünfzehn, dann zwanzig Meter und dann wurde es dunkel. So finster wie in dem See auf der Insel der Hexe. Doch hier schwebten keine goldenen Blasen um ihn herum und erhellten die Dunkelheit. Es ging einfach nur immer tiefer hinab. Der Druck auf die Brust wurde dabei immer größer. Er quetschte Wills Kopf und der hatte nur noch einen Gedanken: Ich werde ersticken! Und trotzdem zwang er sich ruhig zu bleiben. Er kämpfte entschlossen gegen die Luft in den Lungen. Die zogen ihn wie einen Ballon nach oben zurück. Er glaubte deshalb, auf der Stelle zu tauchen. Die Wasseroberfläche kam nicht in Sicht. Kein Glitzern und Flimmern. Da schrie er verzweifelt. Er schrie auch aus Angst. Und mit diesem Angstschrei wich die restliche Luft aus seinen Lungen. Die bremsten ihn nicht mehr. Er fiel wie ein Stein und im selben Moment, als sein Körper verlangte, endlich zu atmen, durchbrach er die Wasseroberfläche des Sees in der untersten Höhle von Rum Bottle Bottom.
Auf ihr schwamm eine Schicht aus Asche: oberarmdick und morastig verklebt. Die Seerosenblüteninseln waren alle verkohlt und ließen kein Licht ins Wasser hinab. Will konnte auch nicht in ihnen schwimmen. Er strampelte wild mit Armen und Beinen. Er schnappte nach Luft, schluckte Pflanzen und Wasser, hustete, spuckte, erreichte mit knapper Not das rettende Ufer und zog sich völlig erschöpft bis zum Gürtel heraus. Dann schloss er die Augen und dankte Gott und dem
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